Broc Tickle verteidigt Kawasaki-Team, doch Jorge Prado erwartet mehr

Kawasaki Setup mit Prado Bike bei der AMA Pro Motocross Serie. / Foto: Matthew Snow
Die Aussagen von Broc Tickle, seines Zeichens Kawasaki Testfahrer, in der jüngsten Ausgabe der Pulp MX Show sorgen für Gesprächsstoff – nicht nur wegen seiner offenen Worte zur Arbeit im Team, sondern auch wegen der indirekten Einblicke in die angespannte Dynamik rund um Jorge Prado. Zwischen berechtigter Kritik und ehrlichem Lob entsteht ein differenziertes Bild: Ein Team, das alles gibt – und ein Fahrer, der vielleicht mehr fordert, weil er genau weiß, was in ihm steckt.
Tickle verteidigt das Team: „Sie arbeiten sich den Hintern ab“
Als Reaktion auf kritische Stimmen zum Setup und zur Unterstützung rund um Prado, stellte Tickle klar: „Das Team hat sich den Hintern aufgerissen. Sie waren Tage vor und nach High Point vor Ort, haben acht bis neun Stunden Testzeit auf dem Bike gesammelt – das ist viel.“ Noch am Tag des Interviews wurde getestet, der Motor wurde über Nacht verschickt – um sicherzustellen, dass Jorge das neue Setup rechtzeitig fahren kann.
Tickle betonte, wie sehr sich die Mechaniker und Ingenieure reinhängen: „Die Jungs arbeiten hart, das ist nicht leicht. Und Interviews wie die von Jorge zu hören, das ist nicht einfach für uns. Ich bin ehrlich.“
Zwischen den Zeilen: Ein Profi wie Tickle sieht die Belastung für das Team – und nimmt sie in Schutz. Doch gleichzeitig spricht er auch aus, dass die Kritik von Prado emotional sitzt.
Prado liefert – aber auf eigene Art
Besonders interessant wird Tickle, als er über Prados schnellste Qualifying-Runde in Q2 spricht: „Ich war ehrlich gesagt schockiert, als ich das gesehen habe. Ich dachte nur: Whoa, da ist es. Ich war wirklich überrascht, wie diese Runde zusammenkam.“
Und genau hier liegt ein zentraler Punkt der aktuellen Diskussion. Denn wer Jorge Prado kennt, der war nicht überrascht – weil genau das sein Level ist. Prado ist nicht irgendein schneller Fahrer. Der amtierende MXGP-Weltmeister steht für technisches Perfektionsdenken, absolute Präzision und eine unglaubliche Fähigkeit, auf den Punkt zu liefern – wenn die Bedingungen stimmen.
Warum Prados Kritik nicht nur Frust ist
Der Eindruck entsteht: Tickle war überrascht, wie gut Jorge wirklich ist – und das könnte der Kern des Problems sein. Denn Prado ist es nicht. Er weiß, was er leisten kann – und er fühlt, wenn das Setup ihn daran hindert, dieses Potenzial abzurufen.
Für einen Fahrer dieses Kalibers reicht es nicht, wenn das Motorrad „gut“ ist. Es muss perfekt zu seinem Stil passen. Nur dann kann er diese magischen Runden abliefern, mit denen er in der MXGP-Welt regelmäßig Schlagzeilen schreibt. Wenn das Team dieses Anspruchsniveau nicht teilt oder unterschätzt, entsteht Reibung – selbst wenn objektiv hart gearbeitet wird.
Analyse: Harte Arbeit vs. hohe Erwartungen
Die Situation erinnert an ein typisches Dilemma im Spitzensport: Ein Team, das alles gibt – und ein Ausnahmetalent, das mehr braucht, weil es mehr kann. Für Außenstehende mag es undankbar wirken, wenn ein Fahrer trotz aller Bemühungen Kritik äußert. Doch aus der Sicht eines Champions wie Jorge Prado ist das kein Meckern, sondern ein verzweifelter Wunsch nach Spitzenleistung.
Er erwartet nicht weniger als das Optimum – weil er weiß, dass es den Unterschied macht zwischen einem Top-5-Platz und einem dominanten Sieg.
Ein Balanceakt mit offenem Ausgang
Tickles Aussagen geben wertvolle Einblicke: Ja, das Team investiert viel. Ja, die Kommunikation zwischen Fahrer und Crew ist ein sensibles Thema. Und ja, Jorge Prado bleibt ein Ausnahmekönner, dessen Frust genau daraus resultiert – weil er weiß, wie gut er sein kann, wenn alles stimmt.
Wenn es dem Team gelingt, dieses Verständnis noch stärker zu verankern und gemeinsam mit Prado die berühmten letzten paar Prozent zu finden, dann steht noch einiges bevor. Denn wenn Jorge „comfortable“ ist – dann wird’s für alle anderen richtig ungemütlich.