Test: Kawasaki KX450F 2024 – Alles neu, aber auch besser?
Bereits im Sommer wurden die ersten Bilder der neuen Kawasaki KX450F öffentlich und selbstverständlich berichteten wir darüber. Nun durften wir im Rahmen einer Pressevorstellung die neue Kawasaki KX450F 2024 ausgiebig testen.
Fahreindruck der Kawasaki KX450F 2024
Nach fünf Jahren ohne riesige Weiterentwicklung gab es beim Kawasaki MX-Flaggschiff KX450 für 2024 eine Rundumerneuerung. Doch wie sagte schon Chad Reed einmal: „bei ‚alles neu‘ gehen meine Alarmglocken an“…
Unser Testredakteur Busty Wolter hat für uns herausgefunden, ob das Entwicklungs-Konzept der Kawasaki-Ingenieure gelungen ist. 2023 feiert Kawasakis Motocross-Produktlinie „KX“ ihr 50. Jubiläum. Neben dem Standard-Modell mit einem Listenpreis von 10.645 Euro (inkl. Überführungskosten), gibt es zusätzlich eine 50th Anniversary Edition für 200 Euro mehr. Das Sondermodell im Look von 1990 unterscheidet sich tatsächlich lediglich im Design und nicht technisch.
Die Kawasaki KX450F 2024 erhielt, seit den letzten großen Veränderungen für den Modelljahrgang 2019, eine komplette Überarbeitung. Das Feedback der Werksteams mit Fahrern wie Romain Febvre, Jason Anderson und Adam Cianciarulo floss stark in die Entwicklung der Serienmotorräder ein. Zahlreiche Veränderungen am Motor, Rahmen, der Schwinge, dem Bodywork und dem Fahrwerk sollen eine verbesserte Performance und ein besseres Gefühl, insbesondere für die Front, erzeugen. Eine Brembo-Vorderbremse sowie verbesserte elektronische Fahrhilfen und eine kabellose Verbindung zur RIDEOLOGY App sind weitere Neuerungen.
Motor: Angenehmer und kraftsparender zu fahren
Einangenehmerer Verlauf der Drehmomentkurve, um kraftsparender und angenehmer schnell fahren zu können, war das Ziel der Ingenieure bei der Entwicklung des Triebwerks. Mit einem Zuwachs des Drehmoments im unteren Drehzahlbereich verläuft die Kurve nun flacher, um kraftsparender aus Kurven beschleunigen und frühzeitiger höhere Gänge fahren zu können. Gleichzeitig soll die Überdrehfreudigkeit des neuen Motors verbessert sein. Das Triebwerk steckt nun aufrechter im Rahmen. Ein begradigter und steiler verlaufender Einlasskanal trägt dazu bei.
Auchdie optimierte Platzierung des neuen Luftfilterkastens inklusive quick-release Luftfilters -, Drosselklappenkörpers (Einlass) und Auspuffs am Auslass tragen dazu bei, dass das Luft-Benzin-Gemisch nun viel geradliniger und damit effizienter fließt. Die Einlassventile besitzen jetzteinen Durchmesser von 38 mm. Das Pleuel haben die Kawasaki Ingenieure um 5 mm verlängert, um die Reibung zu verringern. Durch den nun mittig und geradlinig austretenden Auspuff konnten die Ein-und Auslasskanäle symmetrisch im Zylinder platziert werden. Der Auspuff erhielt eine neue, flachere Resonanzkammer und verläuft damit weiter innen. Der neu geformte Schalldämpfer sitzt nun für eine bessere Massenzentralisierung ganze 85 mm weiter vorne.
Rahmen: Mehr Grip am Vorderrad bei verbesserter Gesamt-Balance
Der Rahmen der Kawasaki KX450 2024 wurde ebenfalls stark überarbeitet. Das war schon nötig, um Platz für die neue Auspuff-Führung und den neuen Einlass zu schaffen. Darüber hinaus wollten die Ingenieure die Steifigkeitsbalance verbessern, um ein besseres Gefühl für das Vorderrad zu erzeugen. Das Y-Stück am vorderen Rahmenunterzug wanderte 125 mm nach oben. Die Querverbindungen zwischen den Rahmenzügen sowie die Schwingenaufnahme wurden überarbeitet. Natürlich ist dementsprechend die Schwinge an den neuen Rahmen angepasst. Was nicht jedem bewusst ist: auch der Motor spielt eine wichtige Rolle bei der Gesamtsteifigkeit des Rahmens. Mit optional erhältlichen oberen Motorhalterungen aus anderem Material und mit einer anderen Form kann nun schnell und unkompliziert der Flex des Motorrades zugunsten von mehr Traktion am Hinterrad geändert werden.
Fahrwerk: Überarbeitete Showa-Komponenten
An der Front verrichtet eine 49 mm Stahlfeder-Gabel von Showa ihren Dienst, deren Innenleben und Setting auf das neue Chassis abgestimmt sind. Um Platz für denneuen Luftansaugtrakt zu schaffen, wandertedie obere Stoßdämpferaufnahme nun deutlich weiter nach unten. Dadurch wurde der Showa Stoßdämpfer, bei gleichem Federweg zum Vorgängermodell, 32 mm kürzer als sein Vorgänger. Wer die Druckstufe am Stoßdämpfer einstellen möchte, muss sich nun auf die linke Seite des Motorrades begeben, denn der Ausgleichsbehälter befindet sich nun dort Ein Vorteil der neuen Platzierung ist, dass er sich nun weiter vom heißen Auspuff befindet, was die Performance im längeren Fahrbetrieb positiv beeinflussen dürfte. Auch die Stoßdämpferabstimmung hat Kawasaki angepasst.
Bodywork und Chassis: Schlanker mit sanfteren Übergängen
Das Bodywork wurde ebenfalls überarbeitet, um sich noch besser auf dem Bike bewegen zu können. Bei den Kühlerspoilern wurde der Übergang zu den Kühlern sanfter gestaltet und erfolgt nicht mehr so kantig wie noch beim Vorgänger. Den Luftfilterkasten kann man über den Seitendeckel werkzeugfrei öffnen, um den neuen, flachen Luftfilter per praktischen Schnappverschlüssen herauszunehmen. Auf der rechten Seite steht durch den nach links gewanderten Ausgleichsbehälter des Stoßdämpfers mehr Kontaktfläche für die Beine an den Kunststoffteilen zur Verfügung.
An der Front verzögert nun erstmals in der Geschichte der KX-Modelle eine Bremsanlage von Brembo, während hinten weiterhin eine Nissin Bremse verbaut ist. Die Bremsscheiben stammen nun von Sunstar. Am Hinterrad hat sich der Durchmesser der Radnabe um 12mm auf 58mm vergrößert, womit man auf den Wunsch der Factory-Rennteams einging. Bei den Reifen vertraut man nun auf die neuen Geomax MX34 von Dunlop. Der oversized Renthal Fatbar Lenker mit neuen mittelweichen odi Lock-On-Griffen kann in vier verschiedenen Klemmpositionen montiert werden. Individuelle Einstelloptionen bestehen auch weiterhin bei den Fußrasten, die in zwei Positionen, mit 5 mm Höhenunterschied, befestigt werden können.
Elektrische Fahrhilfen: Optimiert und kabellos mit dem Smartphone einstellbar
Neben der „Hardware“ sollen einige elektronische Fahrhilfen und Werkzeuge für maximalen Fahrspaß und top Performance in unterschiedlichen Bedingungen sorgen. An der neuen Schalteinheit links am Lenker können über einen blauen „Power Mode“-Knopf zwei verschiedene Mappings ausgewählt werden. Mit dem darunter liegenden grünen Knopf können drei verschiedene Modi für die Traktionskontrolle (aus, weich und hart) eingestellt werden. Drückt man beide Knöpfe, wird die Launch Control als Hilfe für den Rennstart aktiviert. Mit der RIDEOLOGY App kann das Motorrad nun kabellos per Bluetooth mit dem Smartphone verbunden werden.
Neben Funktionen zum Monitoring, Notizen zu Service-Intervallen und Set-Ups ist insbesondere die Möglichkeit zur Erstellung von individuellen Mappings des Motors interessant. Über eine Anpassung von Benzinmenge und Zündzeitpunkten in den verschiedenen Drehzahlbereichen kann so die Motorcharakteristik verändert und auf das Motorrad gespielt werden. Die Kawasaki KX450F 2024 beeindruckt auf der Strecke. Auf der „Roccos Ranch“ in Spanien, etwas nördlich von Barcelona gelegen, hatten wir die Gelegenheit, die neue KX450 mit ihren vielen Veränderungen sowohl auf der schnellen, sprunggewaltigen „MX Pro“-Strecke mit festem Untergrund als auch auf einer langsameren, engeren Strecke mit weicherem Boden intensiv zu fahren.
Fahrbericht der Kawasaki KX450F 2024
Von Beginn an fühlte ich mich auf der KX450 des Jahrgangs 2024 wohl. Die Sitz-und Stehposition ist für mich neutraler und besser als beim Vorgänger, bei dem ich eher das Gefühl hatte „im“ Motorrad zu sitzen bei einer tendenziell hohen Front und viel Gewicht auf dem Heck der Maschine. Die Sitzposition ist nun „auf“ dem Motorrad und die Front fühlt sich ausgewogen neutral an. Die Fußrasten wurden für mich mit 1,87 m Körpergröße und langen Beinen auf der niedrigeren Position montiert. Den Lenker habe ichauf der Standard-Position gelassen. Zunächst fuhr ich im Standard-Modus los, das ist der aggressivere Power Mode, bei deaktivierter Traktionskontrolle. Leuchtet keine Lampe an der Schaltzentrale auf, ist dieser Standard aktiviert.
Beim Fahren setzt sich der erste positive Eindruck fort…
…und die KX450 fühlt sich neutral und gut ausbalanciert an und lenkt bereitwillig dorthin, wo ich es möchte. Dabei ist es egal, ob es sich um enge Kurven oder schnelle Streckenpassagen handelt, ob ich mich auf dem Boden oder in der Luft befinde. Das Vorderrad leistet eine gute Führungsarbeit. Ich bin begeistert! Der Motor zieht kraftvoll und sattdurch, ist aber für mich als erfahrenen Pro-bis Expert-Fahrer gut beherrschbar. Manch einer wird sagen: er braucht mehr Leistung…wobei dann bei anderen Maschinen gesagt wird: das ist zu viel. Und wer an einer 450er tatsächlich noch mehr Leistung braucht, kann sich diese durch einige Modifikationen holen, während sich ein gutes, ausgewogenes Chassis im Nachgang schwierig herstellen lässt.
Das Fahrwerk arbeitet tadellos…
…in den Spurrillen auf den gegrubberten Streckensektionen und schluckt auch die großen Sprünge gut weg. Lediglich beim Anbremsen taucht mir die Gabel ab und zu etwas zu stark ein. Doch nachdem ich die Druckstufe an der Gabel drei Klicks härter gestellt habe, ist das Problem weg und ich habe ein noch besseres Gefühl für das Vorderrad. Die Bremsen fühlen sich gut an, gerade die Vorderbremse fühlt sich für mich angenehmer als ihr Nissin-Vorgänger an. Der Hebel bietet eine breitere Auflagefläche für den Zeigefinger, was mir besser gefällt und ein besseres Gefühl für den klaren Druckpunkt gibt. Die Hydraulikkupplung lässt sich ebenso gut betätigen und dosieren. Die odi-Griffe fassen sich gut an und ich verstehe ohnehin nicht, weshalb die Hersteller nicht alle MX-Bikes nur noch mit den praktischen Lock-On-Griffen ausstatten.
Auf dem neuen Bodywork kann ich mich gut bewegen…
…und ich stelle keine störenden Kanten oder „Löcher“ fest und habe immer guten Kontakt zum Bike. Ich bin positiv angetan von der neuen Kawasaki. Auch wenn ich nicht das Gefühl habe, von der Leistungsentfaltung überfordert zu sein, aktiviere ich die weichere Traktionskontrolle–angezeigt durch das blaue Dauerlicht – und merke sofort, wie mir diese auf rutschigen Stellen hilft, noch mehr Traktion zu finden, ohne dass ich mich von ihr „bevormundet“ fühle. An ein, zwei kniffligen Stellen komme ich nun sogar noch etwas besser über das folgende Hindernis, die Traktionshilfe kann also auch schnelle Fahrer unterstützen.
Den zweiten, stärker eingreifenden Modus der Traktionskontrolle – nun blinkt die LED blau–taufe ich bei trockenen Bedingungen liebevoll „Idiotensicher-Modus“.
Etwas überspitzt dargestellt bleibt unabhängig davon, wie stark ich Gas gebe, das Motorrad wie auf Schienen in der Spur. Bei feuchteren Bedingungen kann die Traktionshilfe für den nicht so versierten Piloten eine echte Hilfe sein, um die Leistung der 450er kontrolliert und damit sicher auf den Boden zu bringen. Nun stelle ich den zweiten Mappingmodus ein – gekennzeichnet durch eine grüne LED – und deaktiviere die Traktionskontrolle wieder. Die Leistungsentwicklung ist nun insbesondere zu Beginn sanfter, doch oben rum zieht der Motor nach wie vor ganz gut durch und ich komme mir nicht unbedingt langsamer oder „eingebremst“ vor.
Dieser sanftere Modus ist etwas kraftschonender zu fahren und insbesondere auf der engeren Teststrecke gefiel er mir sogar besser, da man mit ihm gefühlvoller aus den Kurven beschleunigen kann. Auch hier spiele ich mit den Traktionskontrollen rum und muss feststellen, dass jeder der insgesamt sechs möglichen Kombinationen aus Power Mode und Traktionskontrolle je nach Streckentyp und Bodenbedingungen durchaus Sinn machen kann.Zusätzlich kann man den Charakter des Motorrades mit der App schnell weiter anpassen, zum Beispiel noch etwas mehr Spritzigkeit oder Überdrehfreude einprogrammieren, ohne dabei etwas kaputt machen zu können. Auch das ist eine wichtige Erkenntnis für Fahrer, die sich noch etwas mehr Punch oder Drehfreude vom Motor wünschen. Die Maximaldrehzahl ist jedoch limitiert. Mit der App kann man die Traktionskontrollen (noch) nicht modifizieren, sondern nur die Mappings.
Mit der Launch Control bei meinen Startversuchen fiel es mir schwer, ein Fazit zu finden.
Dazu muss ich sagen, dass ich kein aktiver Rennfahrer mehr bin und auch nicht permanent auf einer 450er Starts hinlege. Sie greift auf jeden Fall beim Holeshot-Versuch ein, doch ich griff auch immer wieder vorsorglich in die Kupplung, um ein Aufsteigen des Motorrades zu verhindern, vielleicht auch aus einprogrammiertem Reflex in meinem Körper. Der Holeshot-Assistent soll laut Aussagen der Entwickler ziemlich nahe an dem dran sein, was auch die Werksfahrer einsetzen. Etwas mehr Startroutine und Zeit zum Austesten der Starhilfe ist vermutlich hilfreich, Vollgas geben und einfach Kupplung schnalzen lassen funktioniert also nicht.
Fazit
Alles in allem hat mich die Kawasaki KX450von 2024 positiv beeindruckt. Sie ist vom Fahrverhalten ausbalanciert und dabei agil und handlich, besitzt einen guten Motor und macht einfach Spaß. Sie hat mir sogar so viel Vertrauen gegeben, dass ich am Ende sogar den größten Sprung auf Roccos Ranch, ein Bergauf-Triplemit ungefähr 40 Metern Flugweite, gewagt und auch erfolgreich überwunden habe. Für ein Serienbike, das „out of the box“ kommt, war das ein hoher Vertrauensbeweis. Mit den vielen individuellen Einstellungs-und Abstimmungsoptionen dürften Fahrer jedes Fahrlevels ihr optimales Setup für die KX450 finden.