Rückblick und Neuanfang: Vsevolod Brylyakov
Knapp drei Jahre ist es her, als das Startverbot der FIM für russische und belarussische Motocross-Fahrer im Jahr 2022 für viele Fahrer eine Zäsur darstellte. Besonders hart traf es Vsevolod Brylyakov, den seine Freund „Seva“ nennen, der mitten in einer vielversprechenden Saison stand. Während des MXGP von Italien in Mantova, direkt nach dem Qualifying, musste er sich der neuen Realität stellen.
Nach einer starken Saisonvorbereitung und großen Zielen für 2022 bedeutete das Startverbot für ihn einen unerwarteten, harten Einschnitt. Doch Seva hat aus dieser Umbruchszeit ein neues Kapitel gemacht. „In dem Moment konnte ich nicht einfach weitermachen wie bisher“, erzählt er, „also begann ich, anders zu denken und neue Wege zu suchen.“
Eine neue Rolle – Motocross in Russland stärken
Anstatt nur darauf zu warten, eines Tages ins MXGP-Fahrerlager zurückzukehren, richtete Vsevolod Brylyakov seinen Blick auf das Motocross-Geschehen in Russland. Er gründete die „VB18 MX Academy“ – eine Trainingsstätte für junge Talente und ein professionelles Team mit starker Medienpräsenz. „In unserer Academy fördern wir Athleten von 9 bis 21 Jahren. Einige unserer Fahrer haben in den letzten zwei, drei Jahren bereits Erfolge und Meisterschaften gefeiert“, berichtet Seva stolz.
Doch das war nur der Anfang. Parallel zu seinem Academy-Projekt übernahm Seva auch den Vorsitz bei der Russischen Motorsport-Föderation (MFR) im Bereich Motocross. „Ich wollte den Sport hier voranbringen und etwas bewegen. In diesen zwei, drei Jahren hat sich Motocross in Russland stark entwickelt – vom Rennbild über die Atmosphäre bis zu wachsenden Zuschauerzahlen“, berichtet er zufrieden. „Es ist toll zu sehen, dass das Interesse an unserem Sport stetig wächst.“
Vermisste Chancen und neue Ziele
Natürlich fehlt ihm der internationale Rennsport. „Ich vermisse die MXGP-Serie, die Rennen, meine Freunde, das ganze Umfeld“, sagt Seva. „Als Kind war es mein Traum, MXGP-Fahrer zu sein und dort zu gewinnen. Ich habe jede Sekunde genossen. Aber ich bleibe in Kontakt mit vielen Leuten und glaube, dass wir uns eines Tages wiedersehen werden – sei es, wenn ich selbst zurückkehre oder wenn ich meine jungen Fahrer mitbringe.“
Seine Academy ist für ihn mehr als nur ein Trainingslager. „Es ist wie eine große MX-Familie, in der ich die Rolle des großen Bruders übernommen habe“, sagt er lachend. „Wir fördern hier nicht nur MX-Fahrer, sondern auch Persönlichkeiten und professionelle Athleten. Das macht unglaublich viel Spaß, und die Atmosphäre ist superfreundlich – wie eine riesige Familie.“
Ein Blick in die Zukunft – mit Motivation und Optimismus
Trotz der verpassten Chancen bleibt Seva optimistisch. „Ja, ich habe gesehen, dass russische Athleten in manchen Sportarten wieder antreten dürfen. Aber für hochbezahlte Sportarten wie Tennis oder Ligen wie die NHL oder UFC ist das natürlich einfacher“, erklärt er. „Dass mein Traum plötzlich gestoppt wurde, hat mich enttäuscht. Das Gefühl, etwas nicht vollendet zu haben, wird wohl bleiben. Aber ich bin stolz auf das, was ich daraus gemacht habe. Für manche ist so etwas das Ende, für andere ein Neuanfang.“
Seine körperliche Fitness? Die ist nach wie vor auf höchstem Niveau. „Ich bin momentan in Topform und habe auch meinen Fahrstil verbessert“, erzählt er. „Man weiß nie, wohin das Leben einen führt, aber es liegt an einem selbst, das Beste daraus zu machen.“
So geht Vsevolod Brylyakov seinen Weg weiter – vielleicht nicht als aktiver Fahrer, doch mit Vision und voller Energie, um den Motocross-Sport in Russland weiterzubringen.
Doch wo ist das Problem mit dem FIM Startverbot
Im Jahr 2022 verhängte die FIM weitreichende Sanktionen gegen russische und belarussische Fahrer: Alle bis dahin vergebenen FIM-Lizenzen wurden ausgesetzt. Das bedeutet, dass Fahrer mit einer Lizenz der russischen Motorradföderation (MfR) und der belarussischen Föderation (BFMS) seither nicht an FIM-Veranstaltungen und -Aktivitäten teilnehmen dürfen.
In anderen Sportarten sieht die Situation mittlerweile anders aus. Sportler aus Russland und Belarus dürfen wieder in internationalen Wettbewerben starten – allerdings nur unter neutraler Flagge oder mit einer Lizenz eines anderen Staates. Beispiele dafür sind die olympischen Spiele und Veranstaltungen in Tennis und der NHL, wie Vsevolod Brylyakov uns gegenüber erklärte.
Auch im deutschen Motorsport gibt es unter bestimmten Bedingungen Ausnahmen. „Staatsbürger dieser Länder, die über die Lizenz eines anderen nationalen Verbandes verfügen, sind nach wie vor startberechtigt“, bestätigt Michael Kramp von der Pressestelle des DMSB. „Dies gilt auch für Sportler aus Russland oder Belarus, die bereits vor dem Angriffskrieg gegen die Ukraine über eine DMSB-Lizenz verfügten – etwa, weil sie ihren Wohnsitz schon länger in Deutschland haben. Diese Lizenzen können auf Antrag und beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch verlängert bzw. erneut ausgestellt werden.“
Jetzt kommt der Knackpunkt: Die Ausstellung einer DMSB-Lizenz für Sportler aus diesen Ländern, die zum ersten Mal eine Lizenz beantragen, ist derzeit nicht möglich. „Eine Erstbeantragung einer DMSB-Lizenz für Sportler aus den genannten Ländern ist derzeit nicht vorgesehen,“ so Kramp. Doch was spricht dagegen, auch diesen Sportlern die Lizenz zu gewähren?
Während das IOC mittlerweile russische Athleten wieder zulässt, hat die FIM seit 2022 kaum Änderungen an ihrem Maßnahmenkatalog vorgenommen. Ob eine für Anfang Dezember geplante Sitzung, bei der es auch um die Sanktionen gegen die russischen und belarussischen Sportler gehen wird, eine Anpassung der bestehenden Maßnahmen mit sich bringt, bleibt abzuwarten.
Wie es unseren zweiten Gesprächspartner, Evgeny Bobryshev seit unserem letzten Interview ergangen ist und was er heute macht, erfahrt ihr in Kürze.