Blaue Flaggen: Regeln, Missverständnisse und zwei Welten
Chase Sexton (#4) beim Überrunden von Justin Hill (46) und Shane McElrath (#12). / Foto: Feld Entertainment
Das Thema blaue Flaggen sorgt seit Jahren immer wieder für Diskussionen – und nach dem Supercross in Tampa ist es mal wieder soweit. Verschiedene Medien haben über Probleme mit Überrundungen berichtet, also bringen wir euch auf den neuesten Stand, denn es gibt große Unterschiede.
Vor einigen Monaten hatten bereits die Top-Piloten der MXGP ihren Unmut über die überrundeten Fahrer geäußert. Ihr Vorwurf: Die langsameren Piloten machen oft nicht genug Platz, um die Spitze ungehindert passieren zu lassen. Während viele Fans der Meinung sind, dass Überrundete sich quasi unsichtbar machen sollten, ist die Regel in der Motocross-Weltmeisterschaft und sogar bei den ADAC MX Masters etwas anders als gedacht.
FIM-Regel: Spur halten, kein Chaos verursachen
Ein Blick ins FIM-Reglement (Punkt 4.26 „Official Signals“) zeigt: Die geschwenkte blaue Flagge bedeutet nicht etwa „Sofort Platz machen!“, sondern schlicht, dass eine Überrundung ansteht. Die klare Anweisung lautet: Der Fahrer soll seine Linie halten.
Das bedeutet, wenn der Überrundete auf der Ideallinie fährt, dann bleibt er auch dort – Hauptsache, er macht keine plötzlichen Spurwechsel oder unvorhersehbare Manöver. Wie uns damals ein FIM-Offizieller bestätigte, wird von den Überrundeten allerdings erwartet, dass sie keine Gegenwehr leisten. Schließlich handelt es sich nicht um einen direkten Positionskampf, sondern um schnellere Fahrer, die vorbei müssen.
AMA: Eine ganz andere Herangehensweise
Während in Europa „Linie halten“ das oberste Gebot ist, läuft das in den USA ganz anders. Das AMA-Reglement für die Supercross-Saison 2025 unter Punkt 1.6.14 F sagt klar:
„Wenn die Bedingungen es zulassen, muss der Fahrer, der die blaue Flagge erhält, aus der schnellen Spur rausfahren. Sobald er die schnelle Spur verlassen hat, muss der Fahrer seine neue Spur halten, darf nicht unkontrolliert fahren und das Überholen der schnelleren Fahrer nicht behindern. Fahrer, die die blaue Flagge missachten, können nach Ermessen der Rennleitung bestraft werden.“
Kurz gesagt: In den USA müssen sich Überrundete aktiv aus der Ideallinie verabschieden – sonst droht eine Strafe.
Zwei Systeme, ein Problem
Die Unterschiede in den Regelwerken zeigen, warum es immer wieder zu Missverständnissen kommt, besonders bei internationalen Fahrern, die zwischen den Serien wechseln. Während in der MXGP und den ADAC MX Masters der Grundsatz „Bleib wo du bist“ gilt, heißt es im Supercross: „Mach die Bahn frei!“.
Ob sich eines der beiden Systeme irgendwann als allgemeiner Standard durchsetzen wird? Eher unwahrscheinlich. Bis dahin bleibt es ein Thema, das die Motocross-Szene regelmäßig aufwirbelt – genauso wie die blaue Flagge selbst.
Leidtragender Ken Roczen
Ken Roczen war der wohl prominenteste Leidtragende beim Supercross in Tampa. Beim Überrunden zweier Fahrer entschied er sich für die Mitte – eine Wahl, die sich als folgenschwerer Fehler herausstellte. In der engen Situation touchierte der 30-Jährige einen der beiden Piloten, verlor das Gleichgewicht und ging zu Boden.
Doch damit nicht genug: Der zweite Überrundete konnte Roczens Motorrad nicht mehr ausweichen und stürzte ebenfalls. Für einen Schreckmoment sorgte das unkontrolliert herumwirbelnde Bike dieses Fahrers, das nur knapp an Roczen vorbeischoss.
Roczen, der auf Podiumskurs lag, rappelte sich schnell wieder auf und wollte das Rennen fortsetzen. Doch eine abgesprungene Kette machte ihm einen Strich durch die Rechnung – das Rennen war für Roczen gelaufen. Statt der erhofften zweistelligen Punktausbeute blieb am Ende nur ein einziger Zähler.
Kein Wunder, dass die Forderungen nach harten Strafen in den USA immer lauter werden, doch sind sie auch gerechtfertigt? Jason Anderson, Phil Nicoletti und Cooper Webb meldeten sich zu Wort und forderten Konsequenzen für überrundete Fahrer, die blaue Flaggen missachten – sei es durch Punktabzug oder Geldstrafen. Ob die AMA darauf reagieren wird, bleibt abzuwarten.
Die kommenden Rennen werden zeigen, wie Offizielle, Fahrer und Teams mit diesem Dauerbrenner-Thema umgehen – und ob es endlich klare Konsequenzen geben wird, zumindest in den USA.