Fahrwerksgeheimnisse: Marc Odenthal von ORS im exklusiven Interview – Part 2
Im zweiten Teil unseres Interviews mit Marc Odenthal, dem Fahrwerksspezialisten und Gründer von ORS, sprechen wir über die praktische Seite der Fahrwerkseinstellung und -wartung. Marc gibt wertvolle Einblicke in seinen Arbeitsalltag, erklärt, wie er das Feedback von Fahrern analysiert und welche Trends und Innovationen in der Fahrwerkstechnik die Branche geprägt haben.
Zudem verrät er seine persönlichen Tipps, wie Fahrer das Potenzial ihres Fahrwerks auch ohne ständige Hilfe eines Spezialisten voll ausschöpfen können. Ein faszinierender Blick hinter die Kulissen der Motocross-Technik und der entscheidenden Rolle, die das Fahrwerk für den Erfolg auf der Strecke spielt.
Wie gehst du bei der Analyse vor, wenn ein Fahrer dir Feedback gibt, dass das Bike nicht gut liegt?
Grundsätzlich läuft der Prozess so ab: Du arbeitest einen „Fragenkatalog“ ab, um schnell herauszufinden, ob das Fahrwerk zu weich, zu hart, zu schnell oder zu langsam ist, ob der Dämpfer zu hoch steht oder die Gabel zu tief in der Gabelbrücke sitzt – oder welche andere Ursache es geben könnte. In welchen Situationen liegt das Motorrad nicht gut? Ist es vor der Kurve, nach der Kurve oder in einer spezifischen Phase? Mit diesen Informationen kannst du schnell reagieren und die nötigen Anpassungen vornehmen.
Bevor du das Feedback des Fahrers aufnimmst, schaust du ohnehin von außen schon einmal auf das Fahrverhalten des Motorrads. Oft kannst du aus deiner Erfahrung und deinem Blickwinkel bereits abschätzen, was das Problem sein könnte. Wenn der Fahrer dann zurückkommt und sein Feedback gibt, stimmt das häufig mit deinen Beobachtungen überein. Auf dieser Basis entwickelst du schnell eine Idee für mögliche Anpassungen und führst erste Veränderungen durch.
Natürlich kommst du am schnellsten ans Ziel, wenn der Fahrer in der Lage ist, präzise Aussagen zu treffen. Das kann allerdings nicht jeder Fahrer gleichermaßen gut – der eine hat darin mehr Erfahrung, der andere weniger. Ein gutes Beispiel ist Luca Nierychlo, ein 85er-Fahrer, mit dem wir inzwischen im zweiten Jahr zusammenarbeiten. Durch die gemeinsamen Tests hat er gelernt, klare Aussagen zu machen und spezifisch zu beschreiben, was das Motorrad an einer bestimmten Stelle macht oder nicht macht.
Wenn ein Fahrer jedoch keine klare Aussage treffen kann, musst du viel aus der Beobachtung herausarbeiten, selbst interpretieren, viele Fragen stellen und die Probleme durch gezieltes Nachfragen herauskitzeln. Das ist nicht immer einfach und kann manchmal recht lange dauern.
In solchen Fällen gehst du in kleinen Schritten vor – zum Beispiel Anpassungen an Druck- und Zugstufe, Position des Motorrads oder andere Details. Dabei arbeitest du Schritt für Schritt, bis du das gewünschte Ergebnis erreichst. Es kann durchaus zwei Tage dauern, bis das Motorrad so eingestellt ist, dass Fahrer und Techniker zufrieden sind.
Welche Innovationen oder Trends im Bereich der Fahrwerkstechnik haben das Motocross und damit deine Arbeit in den letzten Jahren besonders verändert?
Ehrlich gesagt gibt es in den letzten Jahren nicht viele große Neuerungen im Bereich der Fahrwerkstechnik. Jeder Hersteller verfolgt hier seinen eigenen Weg. WP hat beispielsweise mit der Einführung der Luftgabel im OEM-Bereich, also im Standardbereich, einen eigenen Ansatz gewählt. Diese Luftgabel empfand ich 2016 als eine beeindruckende Innovation – obwohl sie eigentlich gar nichts grundlegend Neues war, denn im Mountainbike-Bereich ist die Luftgabel seit Jahren Standard.
Generell würde ich aber sagen, dass es im Motocross-Bereich kaum revolutionäre Innovationen gibt. In dieser Hinsicht sind wir eher „old school“. Kunden, Fahrer, Mechaniker und auch Väter von Fahrern stehen neuen Technologien häufig skeptisch gegenüber – das war bei der Luftgabel nicht anders. Solche Entwicklungen brauchen oft sehr lange, um sich durchzusetzen.
Interessant finde ich jedoch Telemetriesysteme. Diese gibt es mittlerweile in verschiedenen Varianten, und sie können durchaus nützlich sein. Allerdings muss man in der Lage sein, die aufgezeichneten Daten korrekt zu lesen und zu interpretieren. Wir haben selbst ein Telemetriesystem, das wir auf der Strecke einsetzen können. Es kommt allerdings selten zum Einsatz, da der Aufwand in der Praxis oft zu hoch ist im Vergleich zum tatsächlichen Nutzen.
Wie oft sollte das Fahrwerk gewartet werden und welche Anzeichen zeigen, dass eine Überholung notwendig ist?
Wie oft das Fahrwerk gewartet werden sollte, lässt sich grundsätzlich nicht pauschalisieren. Bei schnellen Fahrern oder Profis wird das Fahrwerk natürlich öfter gewartet oder erhält einen Service. Der Serviceintervall kann auch mal bis zu 40 Stunden liegen. Im Profibereich liegt der Serviceintervall oft zwischen 8 und 15 Stunden. Das ist jedoch von Fahrer zu Fahrer unterschiedlich.
Im Amateurbereich kann es, wie gesagt, auch schnell mal bis zu 40 Stunden dauern. Es kommt auch auf äußere Einflüsse an, gerade im Motocross-Bereich. Matsch, Schlamm und Dreck, die von außen in die Gabel oder den Dämpfer eindringen, können Schäden anrichten oder Verschleiß verursachen. Das bedeutet, dass ein Simmerring undicht werden kann, oder die Gleitbuchsen verschleißen, weil sich ein Öldreckfilm in die Gabel arbeitet, der wie Schleifpapier wirkt und die Gleitbuchse abnutzt.
Ein weiteres Anzeichen für notwendigen Service ist, wenn die Gabel einfach undicht ist. Man sollte auch grundsätzlich auf die Betriebsstunden achten. Es ist schnell spürbar, wenn der Dämpfungsverlust einsetzt. Die Zugstufe arbeitet dann nicht mehr richtig und es gibt keine Verstellwirkung mehr. Diese Anzeichen deuten auf einen dringenden Service hin.
Welche prominenten Fahrer oder Teams hast du bereits betreut? Gibt es einen speziellen Moment oder Erfolg, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Unter anderem haben wir mit Tom Koch, Max Spies und Jeremy Sydow zusammengearbeitet. Im Supercross haben wir für Harry Kullas ein Fahrwerk gemacht und auch Guillem Farres bei den Masters betreut. Camden McLellan begleiteten wir in seiner 85er- und 125er-Zeit. Ein weiterer Fahrer, mit dem wir eng zusammengearbeitet haben, war Henry Jacobi, der 2018 den Meistertitel auf der STC Husqvarna holte und später noch bei KTM Sarholz fuhr. Aber das ist nur ein kleiner Teil.
Aktuell betreuen wir unter anderem Roan van der Moosdijk sowie verschiedene andere Fahrer. Was bekannte Teams betrifft, so war Kosak wohl das bekannteste. Auch mit Raths Motorsports hatten wir eine enge Zusammenarbeit, besonders in dem Jahr, als Farres den Titel holte, sowie mit vielen anderen Teams.
Ein besonders spezieller Moment war das Supercross-Podium mit Sulivan Jaulin 2017 in Chemnitz, zusammen mit Harry Kullas am selben Wochenende. Ein weiterer besonderer Moment war der Masterstitel 2018 mit Henry Jacobi sowie der Europameisterschaftstitel in der EMX 85 mit Camden McLellan und der Junior-Cup-Meistertitel ebenfalls mit Camden McLellan. Diese Momente bleiben besonders in Erinnerung.
Die Zusammenarbeit mit Guillem Farres war ebenfalls sehr speziell, da sie extrem harmonisch war. Er ist ein großartiger Mensch, mit dem wir immer noch Kontakt haben. Es war eine richtig angenehme Zusammenarbeit, und auch der Sieg im Youngster Cup sowie das Jahr in der EMX und MX2 WM waren wirklich gut. Es war eine tolle Zeit mit einem tollen Fahrer.
Ein weiterer besonderer Moment war die gesamte Zusammenarbeit mit Tom Koch. Die Loyalität von KTM und Kosak uns gegenüber war ebenfalls ein Highlight. Und natürlich der Holeshot von Tom Koch in Holzgerlingen nach vier Jahren – auch das war ein ganz besonderer Moment. Insgesamt sind es immer die ersten Meisterschaften oder die Zusammenarbeit mit Fahrern, bei denen die Chemie stimmt, die besonders bleiben. Siege an sich sind immer etwas Besonderes.
Was ist dein persönlicher Tipp für Fahrer, um das volle Potenzial ihres Fahrwerks auszuschöpfen – auch ohne ständige Hilfe eines Spezialisten?
Also grundsätzlich als ersten Tipp: Wenn du ein neues Motorrad bekommst – egal ob neu oder gebraucht – solltest du unbedingt den Durchhang messen und alles überprüfen, die Einstellungen kontrollieren und so weiter. Danach solltest du das Fahrwerk komplett auf dich abstimmen lassen. Bei uns bekommst du dann die Grunddaten zur Einstellung, wie zum Beispiel für den Boden, den Sand und so weiter.
Dann würde ich dir empfehlen, ein kleines Notizbuch als Fahrer anzulegen. Darin solltest du von Strecke zu Strecke, von Tag zu Tag, immer einige Informationen aufschreiben: Wie war der Boden? Wie war die Strecke? Wie war der Tag an sich und wie hast du dich gefühlt? Welche Reifen hast du verwendet und welchen Luftdruck hattest du? Und natürlich auch die Fahrwerkseinstellungen. Wenn du im Laufe des Tages Änderungen vornimmst, notiere sie ebenfalls. So hast du ein kleines Tagebuch mit deinen Fahrwerkseinstellungen, das dir hilft, beim nächsten Mal die richtige Einstellung zu finden. Du kannst dann auf die Informationen zugreifen und bei ähnlichen Bedingungen schneller die passende Einstellung vornehmen, ohne viel Zeit zu verlieren.
Der zweite Tipp betrifft die Fahrtechnik. Nimm dir auch mal einen Fahrtechniktrainer, es gibt viele gute Trainer in Deutschland. Markus Schiffer ist einer, der das richtig gut macht, und auch Hannes Vollmer ist empfehlenswert. Achte auf deine Fahrtechnik, denn sie hilft oft auch dabei, dass das Motorrad besser läuft und besser im Fahrwerk liegt.
Der dritte Tipp: Nimm es nicht zu ernst. Wenn es mal nicht zu 100% funktioniert, versuche nicht, den ganzen Tag nur am Fahrwerk herumzuspielen. Stattdessen könntest du einfach mal eine saubere Runde fahren und das Ganze im Fluss laufen lassen. Oft hilft es schon, einfach mal ein bisschen locker zu bleiben. Es gibt viele Fahrer, die sich so sehr auf die Einstellungen konzentrieren, dass sie den ganzen Tag mit dem Umstellen beschäftigt sind und dabei ihre Fahrtechnik, ihr Tempo und alles andere aus den Augen verlieren. Am Ende führt das nicht zu einem guten Ergebnis.
Und wenn du mal nicht zurechtkommst, ruf jederzeit deinen vertrauten Fahrwerkstuner an. Er wird dir definitiv weiterhelfen.