WSX-Aufreger: Stark-Strafe, Power-Limits und viele Fragen
Michael Hicks auf seiner Stark Varg beim WSX Auftakt in Argentinien. / Foto: SX Global
Neuer Anlauf, neue Technik – und gleich der erste Elektro-Zwischenfall: Beim WSX-Opener in Buenos Aires bekam Stark Future mit Michael Hicks eine Strafe aufgebrummt. Der Vorwurf: „Maximale Energietoleranz pro Runde überschritten.“ Pikant dabei: In den beiden sauberen Läufen fuhr Hicks P10 und P7. Ausgerechnet im abgestraften Lauf lag er zunächst auf P4, in der Superpole fehlten nur ein paar Zehntel auf Max Anstie. Kurz gesagt: Tempo ist da – die Kilojoule waren’s.
Was wurde eigentlich bestraft?
Verbrenner werden über Hubraum geregelt, E-Bikes über Leistung und Energie. Die FIM schreibt dafür einen unabhängigen Logger samt Sensoren vor. Entscheidend ist nicht nur der Peak, sondern die Energie je Runde. Der Knackpunkt: Es gibt eine extrem kleine Toleranz (0,1 kJ pro Runde). Mini-Spitzen – etwa beim harten Aufsetzen nach einem Sprung – sind einkalkuliert, aber eben nur bis zu dieser Grenze. Ist sie überschritten, gibt’s Positionen abgezogen statt einer vollen Disqualifikation. Genau das passierte bei Hicks in Lauf 2 und der Superpole.
Zur Einordnung: In Buenos Aires dauerte eine Runde rund 55 Sekunden. 0,1 Kilojoule in dieser Zeit entsprechen einer zusätzlichen Leistung von 1,8 Watt – das sind etwa 0,002 PS. Oder, anders gesagt: So viel „Mehrleistung“, wie eine Fahrradlampe verbraucht.
Übersetzung ins Fahrerlager-Deutsch: Das Grund-Mapping kann legal sein, aber kurze Drehmoment-Spitzen schieben die Energiebilanz über die Linie. Ergebnis: Penalty, obwohl die „Max Power“ nicht zwangsläufig illegal war.
„Competition Lockout“ und die Frage nach dem Warum
Stark bewirbt seit Langem einen „Competition Lockout“ – also Mappings, die im Rennen nicht mehr veränderbar sind. Wenn das stimmt, bleiben als plausible Auslöser:
- Landungen: Beim Touchdown steigt die Last sprunghaft → Energiespitze.
- Start: Ein aggressives Launch-Setup kann die Rundenbilanz kippen – nicht wegen Dauer-Power, sondern wegen kurzer, teurer Momente.
- Kalibrierung: In solch engen Toleranzen zählen Messfeinheiten. Ein paar Prozent Abweichung können reichen, um aus „passt“ ein „knapp drüber“ zu machen.
Kurz: Kein James-Bond-Schalter am Lenker, eher Physik im rauen Supercross-Alltag.
E vs. Verbrenner: alte Debatte, neue Metrik
Die Strafe zündete sofort die Grundsatzdiskussion: Dürfen E- und Verbrenner überhaupt zusammen fahren? Pro Mischklasse: E-Leistung ist fein mess- und steuerbar, die FIM kann präzise angleichen. Contra: Balance of Performance BOP) bleibt ein bewegliches Ziel – und sorgt fortlaufend für Diskussionen. Die einen wünschen eigene E-Klassen, andere träumen von einer echten Open-Kategorie mit nur Gewichts- und Sicherheitsregeln. (Wäre spannend – aber das ist eine andere Baustelle.)
PR-Spin vs. Realität
„Zu viel Energie“ klingt wie kostenlose Werbung – frei nach dem Motto: „Unser Bike musste eingebremst werden, sonst wär’s unfair.“ Die nüchterne Sicht: Das BOP-System lebt davon, Grenzwerte durchzusetzen. Wenn’s drübergeht, muss es Konsequenzen geben – sonst ist die Vergleichbarkeit dahin. Strafe statt Disqualifikation zeigt immerhin: Verstoß ja, aber im Rahmen.
Was jetzt sinnvoll wäre
- Klare Worte von Stark & FIM: Kein Datendump, aber knapp erklären, ob’s Energiespitzen, Start-Setup oder Kalibrierung war. Transparenz killt Gerüchte.
- Mini-Reserve im Mapping: Einen Hauch Max-Power rausnehmen, um Runden-Energie unter der Toleranz zu halten – vor allem auf hartem, kantigem Untergrund.
- Gemeinsames Fine-Tuning: BOP ist kein Makel, sondern Werkzeug. Nachjustieren gehört dazu, solange beide Technologien zusammen fahren.
Blick nach Vancouver
Sportlich bleibt’s spannend: Hicks’ Superpole-Zeit (nur ein paar Zehntel hinter Anstie) zeigt, dass die Roh-Pace passt. Wenn Stark die Energiespitzen glättet, sind Top-8 absolut drin – ohne Rechenzentrum in der Ergebnisliste. Vancouver wird damit zum Vertrauenstest: Kommen saubere Logs und keine Strafen, kühlt auch die Debatte ab.
Das war weniger „Skandal“ als Kinderkrankheit einer feinfühligen Regelwelt. Wer E-Bikes neben Verbrenner-Maschinen haben will, muss mit Sensoren, Logs und Kilojoule leben – und mit dem Wissen, dass am Ende Zehntelsekundenund Zehntel-Kilojoule gleichermaßen über Plätze entscheiden.
Oder, um’s mit einem Augenzwinkern zu sagen: Leistung ist, was ankommt – aber in der WSX zählt, wie viel Energie pro Runde wieder abgeht.
