Revolution im Helm: Warum der WSX-Vancouver-Test unbemerkt blieb

Das Cardo System sollte in der WSX getestet werden.

Das Cardo System sollte in der WSX getestet werden.

Während die meisten Fans in Vancouver einfach nur ein weiteres WSX-Rennen gesehen haben, lief im Hintergrund ein Test, der den Sport langfristig auf den Kopf stellen könnte. Nichts am Bike. Nichts an der Strecke. Sondern dort, wo man es am wenigsten erwartet: im Helm.

Die World Supercross Championship (WSX) arbeitet gemeinsam mit Cardo Systems und der FIM an etwas, das Supercross in eine völlig neue Ära schieben könnte. Sie arbeiten an echter Funkkommunikation zwischen Fahrer und Box. Was in NASCAR und Formel 1 völlig normal ist, hat im Supercross nie existiert. Auch im Hobbybereich ist es längst Alltag. Bisher.

Ein Test, der fast unbemerkt blieb – aber riesiges Potenzial birgt

Beim Kanada-GP durften Daniel Blair und Jeff Emig das neue Cardo Packtalk Edge live auf der Strecke testen. Das System ist voice-activated, nutzt DMC Mesh, bietet Echtzeitkommunikation, hat Noise-Cancelling. Laut ersten Eindrücken funktioniert es sogar mitten im Getöse einer SX-Session.

Und plötzlich stand ein Szenario im Raum, das es im Supercross so noch nie gab: Dialog statt Boxentafel. Informationen statt Rätselraten. Reaktion statt Hoffen.

Einige WSX-Fahrer sollten das System ebenfalls im Freien Training testen, wurden aber durch die FIM ausgebremst. Denn die hat ganz klare Regeln, welche den Einsatz während einer Veranstaltung untersagen. Also, blieb der echte Test aus.

Kommunikation, die nicht nur schneller ist – sondern lebensrettend sein kann

Dennoch ist der mögliche Nutzen kaum zu unterschätzen. Ein einziger kurzer Funkspruch wie „Rider down, bleib links in den Whoops!“ kann Situationen entschärfen. Er kann Unfälle verhindern, bevor sie überhaupt entstehen. Gleichzeitig eröffnet die Technik völlig neue strategische Möglichkeiten. Teams könnten in Echtzeit auf Linien reagieren, Live-Zeiten durchgeben, den Session-Countdown kommunizieren oder direktes Feedback zu Fahrwerk und Motor erhalten.

Dinge also, die bisher über eine simple Boxentafel oder mit Verzögerung in der Box besprochen wurden. Künftig könnten sie mitten in einer Rhythm-Section, im Flug, live ausgesprochen und umgesetzt werden.

Was sich banal anhört, ist technisch hochsensibel

Die FIM verbietet externe Helmmodule aus Sicherheitsgründen – zurecht. Ein Sturz, ein außen angebrachtes Bauteil, eine ungünstige Rotation, und man hat ein echtes Risiko. Cardo hat wohl eine neue, interne Konfiguration entwickelt, die komplett im Helm integriert werden kann. Erst das macht den Schritt überhaupt möglich – und FIM-konform.

Mehr als Racing: Das System könnte auch die Art verändern, wie Fans Supercross erleben

In Kombination mit Onboard-Kameras wie Insta360 oder GoPro könnten die Fans künftig erstmals echte Fahrerkommunikation miterleben. Nervosität, taktische Ansagen, Hinweise zu Linienwechseln und spontane Beschwerden über das Bike werden sichtbar. Und all die rohen Emotionen, die ein Fahrer in diesem Moment durchlebt. Nicht nachvertont, nicht zurechtgeschnitten, sondern genauso ungefiltert, wie sie in der Hitze des Rennens entstehen.

Supercross könnte dadurch eine Intensität bekommen, die es so noch nie im Motorsport gegeben hat.

Ein Schritt, der überfällig wirkt – aber den Sport komplett umkrempeln kann

Während Cardo in Amateur- und semiprofessionellen Rennserien längst getestet wird, betritt die WSX mit der FIM jetzt absolutes Neuland für den Spitzensport. Wenn die FIM grünes Licht gibt – möglicherweise 2026 oder 2027 –, reden wir nicht über ein kleines Feature.

Wir reden hier über eine grundlegende Veränderung, die Supercross sowohl strategisch als auch sicherheitstechnisch komplett neu definieren könnte. Plötzlich kommunizieren Fahrer mitten im Chaos der Rhythm-Sektionen. Teams können live ins Renngeschehen eingreifen und die Fans hören in Echtzeit, was auf der Strecke wirklich passiert.

Sicherheitswarnungen werden unmittelbarer und präziser. Selbst Setup-Entscheidungen könnten während einer laufenden Session getroffen werden. Kurz gesagt: Das Supercross, das wir bisher kennen, trifft auf eine Weiterentwicklung, wie sie sonst nur im Motorsport auf vier Rädern existiert. Vielleicht wird man rückblickend sogar sagen, dass die Revolution in Vancouver begann. Und kaum jemand es in dem Moment realisiert hat.

Und vielleicht wird man später sagen: „Die Revolution begann in Vancouver – und kaum jemand hat es bemerkt.“