MXGP Renndirektor Ingo Partsch im exklusiven Interview – Part 2
Im zweiten Teil unseres exklusiven Interviews mit Ingo Partsch, spricht er über die Arbeit mit der FIM und Infront. Außerdem haben wir uns mit dem Gedanken eines neuen Qualifikationssystems auseinandergesetzt. Falls du den ersten Teil verpasst hast, kannst du hier direkt zu Part 1 springen. Nun wünschen wir euch aber viel Spaß mit dem zweiten Teil!
Du bist bei der FIM und nicht bei Infront angestellt. Kannst du Probleme oder Verbesserungswünsche bei beiden Parteien entspannt ansprechen, oder ist man da eher vorsichtig?
Partsch: „Wir reden über beinahe alles. Man muss aber schauen, in welche Richtung es geht. Bei Promotion natürlich über Infront, geht es um Sicherheit oder Regeländerungen, dann gibt es drei entscheidende Parteien: Infront als Promoter, die MSMA als Team- und Herstellervereinigung und die FIM. Ich bin da nicht direkt beteiligt, aber ich formuliere natürlich Anliegen.“
Warst du schon einmal an einer großen Regeländerung beteiligt?
Partsch: „Wir haben viele kleine Anpassungen gehabt, aber mir fällt spontan nichts ein, wo ich schnell eine komplette Änderung wollte oder brauchte. Aber eine Sache war zum Beispiel 2016, als Livia Lancelot den WM-Titel verlor. Im folgenden Jahr wurde dann erlaubt, ein Reserve-Motorrad zu nutzen. Eine weitere Änderung war 2012, als wir entschieden, dass es keine Wartezone mehr hinter dem Start gibt. Das konnte sich anfangs niemand vorstellen, aber nach der Einführung der Skybox war es nach wenigen Rennen völlig selbstverständlich. Die Goggle-Lane ist ebenfalls neu und eine riesige Verbesserung, wenn sie genutzt wird. Eine Maßnahme, die direkt von uns kam, ist die stationäre Flagge zu Beginn jeder Session. Dadurch können die Fahrer sehen, wo der Marshall steht und ob er sichtbar ist. Die Fahrer geben uns dann Rückmeldung, ob die Position gut ist und man den Marshall gut sieht. Aber wie oft ist das seitdem passiert?“
Anmerkung der Redaktion: 2016 kämpften Livia Lancelot und Kiara Fontanesi um den WM-Titel. Das Finale fand in Loket statt, wo die Siegerin zur Weltmeisterin gekrönt wurde. In der Einführungsrunde bemerkte Lancelot, dass etwas mit ihrem Motorrad nicht stimmte, und wechselte daraufhin das Bike. Zu diesem Zeitpunkt war das nicht zulässig, da das Motorrad, mit dem die Einführungsrunde gefahren wurde, auch im Rennen eingesetzt werden musste.
Wenn du so fragst, dann tippe ich auf null Mal.
Partsch: „Nein, einmal. Und der Fahrer hatte auch recht, denn kurz darauf flog ein Motorrad genau dorthin, wo der Marshall gestanden hätte. Aber ansonsten gibt es keine Beschwerden, und deshalb tue ich mich schwer, wenn die Fahrer uns erzählen wollen, dass die Streckenposten nicht zu sehen sind. Die Fahrer sehen sie oft deutlich genug.“
Wir hatten auf unserer Website vor kurzem auch einen Artikel über die Regel der blauen Flagge. Dabei kam heraus, dass viele Top-Fahrer die Regel nicht richtig verstanden.
Partsch: „Sowohl die Überrundenden als auch die Überrundeten nicht. Wir erklären die Regel aber regelmäßig. Es gibt ein elektronisches Riders-Briefing, das scheinbar nicht viele lesen. Zumindest kommt es mir so vor. Dort sind die einzelnen Flaggen mit ihren Erklärungen drin. Beider blauen Flagge ist erklärt, dass der langsamere Fahrer die Linie halten muss, weil Zickzack zu gefährlich ist. Der schnellere Fahrer muss dann schauen, wie er zügig vorbeikommt. An der Strecke haben wir genügend blaue Flaggen, die beachtet werden müssen. Im Durchschnitt sind es 5-6 blaue Flaggen, was bedeutet, dass auf den meisten Strecken etwa alle 250-300 Meter eine kommt. Wie viele mehr müssen es denn noch sein?“
Die Fahrer sind grundsätzlich ja auch angehalten, bewusst zu fahren, und durch die Uhr an der Ziellinie kann man, glaube ich, schon einschätzen, wann man überrundet wird.
Partsch: „Wenn es ganz eklatant ist, auch wenn es sehr schwierig ist, dann haben wir auch schon Fahrern gesagt, dass es vielleicht besser wäre, wenn sie sich zurückziehen würden. Das betrifft in erster Linie manche MXoN- oder Überseerennen. Ich werde jetzt keine Länder nennen, aber da waren teilweise Zeitunterschiede dabei, die waren jenseits von Gut und Böse.“
Man kann den Wunsch eines Motocrossers, mal WM zu fahren, schon nachvollziehen, aber es geht nicht um jeden Preis.
Partsch: „Eben, nicht um jeden Preis.“
Wäre es dann nicht vielleicht sinnvoll, ein Qualifikationssystem einzuführen?
Partsch: „Wir hatten mal ein System mit 107 % der Trainingszeit. Angelehnt an die MotoGP. Aber jetzt kommen wir nach Lommel und es fährt Jeffrey Herlings. Wie viele Fahrer würden dann am Gatter stehen?“
Wir haben uns beim Erstellen des Interviews die Zeiten mal angesehen und nach Analyse des Zeittrainings festgestellt: Prado war der Schnellste mit 02:00.372. Mit der 107 %-Regel wären bei 35 Fahrern gerade einmal vier Fahrer ausgeschieden.
Partsch: „Ich glaube, wir hatten in der österreichischen Meisterschaft 125 %, weil man sonst zu viele Fahrer ausschließen müsste. Auch wenn man diese Meisterschaft nicht mit der WM vergleichen kann, aber auf speziellen Strecken würde das traurig aussehen.“
Du bist jetzt seit Jahren dabei und hast verschiedenste Zuschauermengen gesehen. Hast du das Gefühl, dass es weniger werden?
Partsch: „Im Netz wird viel Motocross geschaut, keine Frage. Aber wenn wir die Nations nehmen, dann waren die noch nie so groß. Frankreich deklarierte im letzten Jahr 102.000 Zuschauer. Ich habe es nicht gezählt, aber es waren sehr viele. Die Nations sind wirklich riesig. Aber ja, es gibt immer wirtschaftliche Einflüsse. Wenn man auf die Eintrittspreise schaut und mit Familie kommt, dann ist es günstiger als ein Taylor-Swift-Konzert, aber hier beim Motocross wird es dann beispielsweise mit 500 € schon sehr heftig. Auf manchen Strecken sieht man, dass es weniger Zuschauer gibt, aber da kenne ich die Umstände nicht. War die Werbung schlecht? War der Wetterbericht schlecht oder war am gleichen Wochenende MotoGP? Da gibt es immer viele Unwägbarkeiten.“
Die letzte Frage, dann hast du es geschafft. Darf man in deiner Position einen Lieblingsfahrer haben?
Partsch: „Nein.“ (Anm. des Redakteurs: Das „Nein“ kam schneller als bei meiner schnellsten Abfuhr einer Frau (und die war auch ziemlich schnell)). „Das ist absolut nicht gut. Man darf keine Präferenzen haben, und von Nummer 1 bis 999 müssen alle gleich behandelt werden. Aber um die Überleitung zu schaffen: Es sind nicht alle einfach zu handeln. Es gibt hier durchaus kompliziertere Charaktere. Ich kann es mir da auch einfach nicht leisten. Und nur weil ich aus Österreich komme, habe ich schon die Bemerkung bekommen, dass ich sicher ein paar KTMs in meiner Garage geschenkt bekommen habe. Oder sowas wie ‚Ich bekomme nur das Problem, weilich keine KTM habe und du aus Österreich bist.‘ Aber nein, sowas tut man nicht. Sonst ist man hier völlig falsch am Platz und wäre nicht mehr da. Wir sind nicht weit entfernt von der Schiedsrichterrolle, nur mit anderen Regeln.“