Livia Lancelot – Vom Factory-Paddock zur Nachwuchsschmiede

Livia Lancelot bei einem ihrer letzten Einsätze als Teammanagerin in der MXGP.
Einst gefeierte Pilotin, später respektierte Teammanagerin – Ende 2022 zog sich Livia Lancelot nach einem letzten Auftritt im World Supercross aus dem internationalen Rennzirkus zurück. Heute lebt die zweifache Weltmeisterin einen anderen, aber nicht minder intensiven Motorsport-Alltag: als Trainerin, Mentorin und Förderin der nächsten Generation.
Vom GP-Trubel zurück zur Basis
„Ich wollte zurück zu den Wurzeln“, erklärt Lancelot im Gespräch mit unserem französischen Kollegen Kevin Frelaud. In Saint-Vincent-de-Tyrosse betreibt sie mit Unterstützung von Freestyle-Legende Charles Pagès eine kleine, aber ambitionierte Motocross-Schule. Unter der Woche stehen vor allem Talente aus der Region auf dem Programm, während in den Ferien Trainingscamps auf verschiedenen Strecken stattfinden.
Zusätzlich betreut sie ausgewählte Nachwuchsfahrer – darunter Félix Cardineau, Tylan Lagain und bald auch internationale Gäste aus Australien und Portugal. Gemeinsam mit ihrem ehemaligen Team-Mechaniker Tom bietet sie eine „Rundum-sorglos“-Lösung: Motorrad, Technik, Training und sogar Unterkunft.
Der Abschied von den Grands Prix – und kein Zurück
Für Lancelot stand früh fest: Eine Rückkehr ins GP-Paddock kommt nicht in Frage. „Ich genieße es, meinen Sohn aufwachsen zu sehen. Das ist unbezahlbar.“ Die Zeit als Teamchefin bei Honda 114 Motorsports beschreibt sie als lehrreich, aber auch von strukturellen Grenzen geprägt – insbesondere in Bezug auf Factory-Unterstützung.
Ein geplatztes Projekt im World Supercross habe ihr deutlich gemacht, wie hart die Hierarchie im Profisport ist: „Ohne das größte Budget kommst du nicht nach oben.“
Frauen-Motocross: Fortschritt mit angezogener Handbremse
Parallel zu ihrer Schule arbeitet Lancelot seit Jahren mit der französischen Föderation an der Förderung junger Fahrerinnen. Dennoch sieht sie die WMX in einer schwierigen Phase. Zwar gibt es mehr Starterinnen als bei den Männern, doch viele Top-Talente fehlen – und die Budgetfrage ist für ambitionierte Pilotinnen eine große Hürde.
„Früher konnte ich als Fahrerin meinen Lebensunterhalt mit dem Rennsport bestreiten. Heute zahlen die meisten Frauen drauf.“ Nur Ausnahmen wie Kiara Fontanesi oder Courtney Duncan leben davon.
Kritik an Mentalität und Strukturen
Lancelot nimmt kein Blatt vor den Mund: „In Frankreich gibt es aktuell keine Fahrerin, die bereit ist, alles zu opfern, um in der WMX erfolgreich zu sein.“ Für sie sind Einsatz, Verzicht und der Wille, mit Männern zu trainieren, entscheidend – nicht ein behütetes Umfeld.
Auch die sinkenden Starterzahlen im MXGP beunruhigen sie. Bei manchen GPs stehen kaum mehr als 20 Fahrer am Start – vor zehn Jahren waren es noch fast doppelt so viele. „Das ist ein Warnsignal für den gesamten Sport.“
Realistische Zukunftspläne
Mit ihrem aktuellen Lebensmodell – Familie, Nachwuchsförderung, gezielte Arbeit mit ausgewählten Talenten – ist Lancelot zufrieden. Ihr Ziel: weiter Talente formen, die eines Tages den Sprung an die Weltspitze schaffen. Ohne selbst wieder im weltweiten Reisestress zu versinken.