KTM: Was die Neuausrichtung unter Gottfried Neumeister wirklich bedeutet
Gottfried Neumeister ist der Mann andere Spitze bei KTM. / Foto: E. Tschann
Die Zahlen klingen zunächst beeindruckend: über 100.000 ausgelieferte Motorräder im ersten Halbjahr 2025, reduzierte Lagerbestände, ein Neustart der Produktion in Mattighofen, dazu personeller Aufbau und neue Kundeninitiativen. Doch wer genauer hinsieht, erkennt: Die Krise bei KTM ist keineswegs überstanden. Vieles bleibt fragil – und der Weg unter dem neuen Vorstandschef Gottfried Neumeister ist nicht frei von Widersprüchen.
Ein Neuanfang mit schwerem Erbe
Als Neumeister im Januar 2025 das Ruder übernahm, stand KTM an einem kritischen Punkt. Der drastische Umsatzrückgang im Vorjahr, Produktionsstopps, ein massiver Personalabbau und fast explodierende Lagerbestände hatten das Traditionsunternehmen an die Grenze zur Zahlungsunfähigkeit gebracht. Dass es überhaupt zu einem gerichtlichen Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung kam, war für viele in der Branche ein Schock – und eine Zäsur.
Im Rahmen dieses Verfahrens konnte sich KTM mit den Gläubigern auf eine Tilgungsquote von lediglich 30 % der offenen Forderungen einigen – ein tiefer Einschnitt, besonders für langjährige Zulieferer und Dienstleister. Dennoch sieht sich das Unternehmen heute als Gewinner der Krise: Die öffentliche Kommunikation betont vor allem die überstandene Insolvenzgefahr und die vermeintliche Stabilität, weniger die Opfer, die dieser Neustart gekostet hat.
Mit einem 800-Millionen-Euro-Finanzpaket von Partner Bajaj wurde zwar kurzfristig Liquidität gesichert. Doch bleibt die Frage: Wie tragfähig ist eine Rettung, die maßgeblich auf externer Unterstützung beruht?
Produktion hoch – Stabilität fraglich
Der symbolisch gefeierte Wiederanlauf der Produktion in Mattighofen im März war nicht mehr als ein vorsichtiger Testlauf – im Einschichtbetrieb, mit begrenzter Kapazität. Bereits wenige Wochen später folgte der nächste Rückschlag: ein weiterer Produktionsstopp aufgrund von Lieferengpässen. Zwar sollen die Linien bis Ende Juli vollständig hochgefahren werden, doch bleibt die Lage unbeständig.
Gerade in einer Branche, die von globalen Lieferketten abhängig ist, stellt sich die Frage: Wie nachhaltig ist eine Strategie, die operativ so schnell an ihre Grenzen stößt? Der jüngste Stillstand war ein warnender Hinweis – nicht der erste.
Hoffnungsträger Neumeister – ein nüchterner Verwalter?
Neumeister gibt sich betont sachlich. Während sein Vorgänger Stefan Pierer mit großen Visionen und viel öffentlicher Aufmerksamkeit auftrat, konzentriert sich Neumeister ruhig und gezielt auf die Stabilisierung des Unternehmens. Kein Rebranding, keine neuen Produkte, keine medialen Großauftritte – stattdessen Zwischenberichte, Strukturmaßnahmen und die Reaktivierung interner Abläufe.
Doch genau hier beginnt die Kritik: Ist eine Rückbesinnung auf interne Stabilität ausreichend, wenn der Markt sich rapide verändert – technologisch, ökologisch, wettbewerblich? Während Mitbewerber längst Elektromobilität und digitale Plattformen vorantreiben, wirkt KTM in vielen Bereichen strategisch unentschlossen.
Personalpolitik: Neue Stellen – oder alter Fehler?
Besonders auffällig ist der Kurswechsel in der Personalstrategie. Nach massiven Kündigungen – rund 1.100 Stellen seit Anfang 2024 – verkündet KTM nun den Aufbau neuer Jobs. Doch es stellt sich die Frage: Wird hier Substanz geschaffen oder nur Vertrauen zurückgekauft?
Der geplante Wiederaufbau betrifft vor allem Kundenservice, Händlerbetreuung und Logistik – also Support-Funktionen. Ob KTM damit inhaltlich zukunftsfest aufgestellt ist, bleibt offen. Von Innovation, Forschung oder Produktentwicklung ist in den offiziellen Mitteilungen kaum die Rede.
Motorsport als Hoffnungsträger – oder Risikofaktor?
Neumeisters Auftritt beim MotoGP-Wochenende in Brünn wirkte kontrolliert und kalkuliert. Ja, KTM bleibt dem Rennsport treu – „aber nicht um jeden Preis“. Ein Satz, der viel sagt. Der Motorsport wird nicht gestrichen, aber zurückgestutzt auf das wirtschaftlich Vertretbare. Für ein Unternehmen, dessen Markenidentität stark auf Rennsport gründet, ist das ein Balanceakt – und ein möglicher Spagat zwischen Image und Realität.
Zwischen Vorsicht und Verzicht
Gottfried Neumeister hat KTM vorerst stabilisiert – keine Frage. Die Insolvenz wurde abgewendet, das operative Geschäft läuft wieder an, erste Strukturen sind in der Reorganisation. Doch der Preis dafür ist hoch: Der Neustart basiert auf Kürzungen, Verzicht und Zurückhaltung.
Was fehlt, ist ein mutiger Blick nach vorn. Wo sind die Zukunftsprojekte, die technologischen Impulse, das Produktversprechen für eine neue KTM-Generation?
Die nächsten Monate werden zeigen, ob Neumeisters nüchterner Sanierungskurs reicht – oder ob er zum Verwalter eines schleichenden Bedeutungsverlusts wird. Denn wer nur stabilisiert, ohne zu investieren, riskiert auf lange Sicht genau das: Stillstand im Wandel.