KTM vor radikalem Umbau – Bajaj plant massive Einschnitte

Rajjiv Bajaj ist der neue Mann bei KTM

Rajjiv Bajaj ist der neue Mann bei KTM

Die Übernahme des österreichischen Motorradherstellers KTM durch den indischen Konzern Bajaj Auto nimmt konkrete Formen an. Zudem bringt sie tiefgreifende Veränderungen mit sich. Bajaj-CEO Rajiv Bajaj kündigte in einem Interview mit CNBC-TV18 einen drastischen Sparkurs an. Die sogenannten Overheads sollen um mehr als 50 Prozent gesenkt werden. Im Klartext bedeutet das: vor allem weiße Kragen – also Verwaltungs-, Marketing- und Entwicklungsmitarbeiter – müssen sich auf Stellenstreichungen gefasst machen.

Bajaj zieht die Reißleine – auf Kosten der Belegschaft?

Von den aktuell rund 4.000 KTM-Mitarbeitern seien laut Bajaj 3.000 im Büro tätig und nur 1.000 in der Produktion. Das Verhältnis bezeichnete er als „perplexing“. Er kündigte an, hier „rationalisieren“ zu wollen. Seine Aussage, es gebe bei KTM zu viele „Manager, die Manager managen“, lässt keinen Zweifel. Die indische Führung will die Strukturen in Mattighofen radikal umkrempeln.

Doch was Bajaj als „Effizienzsteigerung“ verkauft, dürfte für viele Beschäftigte schlicht Jobabbau bedeuten. Besonders kritisch: Betroffen sind vor allem jene Bereiche, in denen KTM über Jahrzehnte seine Innovationskraft aufgebaut hat – Forschung, Entwicklung und Produktstrategie.

Machtübernahme mit Ansage

Die KTM Übernahme erfolgte im Rahmen eines 800-Millionen-Euro-Rettungspakets. Dies geschah, nachdem KTM Ende 2024 in finanzielle Turbulenzen geraten war. Bajaj selbst sprach in diesem Zusammenhang von „drei Formen der Gier“, die KTM in die Krise geführt hätten: operative Gier (Überproduktion), strategische Gier (Ablenkung durch E-Bike-Projekte) und Governance-Gier (mangelnde Kontrolle und Transparenz).

Während diese Analyse durchaus berechtigt klingt, stellt sich die Frage, ob der angekündigte Sparkurs nicht genau jene Innovationskraft untergräbt. Denn diese Kraft hat KTM überhaupt erst stark gemacht.

Europas Industrie unter Druck

Noch schwerer wiegt eine andere Aussage Bajajs. Bereits vor einigen Wochen erklärte er provokant: „Europäische Fertigung ist tot.“ Diese Haltung lässt tief blicken – und erklärt, warum Bajaj immer mehr Produktion nach Indien verlagert. Zwar soll laut Bajaj der „blaue Kragen“ – also die Produktion – in Österreich erhalten bleiben, doch langfristig dürfte klar sein: Kostendruck geht vor Standorttreue.

Die Ironie: KTM wurde groß mit dem Versprechen, europäische Ingenieurskunst und Rennsportleidenschaft zu verkörpern. Unter Bajajs Kontrolle droht die Marke nun zu einem Effizienzprojekt im globalen Konzerngefüge zu werden.

Neues Management – alte Probleme?

Zwar hat Bajaj bereits ein neues Führungsteam installiert, bestehend aus einem neuen CFO, CHRO und mehreren langjährigen Mitarbeitern. Doch auch das wirkt eher wie eine Übergangslösung. Der Ton aus Indien ist klar: weniger Emotion, mehr Kalkulation.

Dass KTM India laut Bajaj derzeit um 70 Prozent wächst, passt ins Bild. Der Fokus verschiebt sich zunehmend weg von Europa. Nun geht es hin zu Billigproduktion und Massenmärkten. Selbst hohe Zölle in den USA von 50 Prozent werden laut Bajaj „meist absorbiert“. Dies ist ein Zeichen, wie stark KTM künftig auf Indiens günstige Lieferkette setzt.

Zwischen Rationalisierung und Identitätsverlust

Was als Rettung beginnt, könnte sich für KTM langfristig als Identitätskrise entpuppen. Die Marke, einst Synonym für europäische Innovation und kompromisslosen Rennsport, steht nun vor einer Zukunft. Diese riecht stärker nach Excel-Tabelle als nach Adrenalin. Bajaj will Kosten senken, Bürokratie abbauen und den Konzern profitabler machen – alles nachvollziehbare Ziele. Doch der Preis könnte hoch sein: Verlust von Know-how, Motivation und Markenidentität.

Wenn Rajiv Bajaj sagt, „KTM braucht weniger Schreibtische – und mehr Menschen, die Motorräder bauen“, klingt das einprägsam. Die Frage ist nur: Wer baut in Zukunft die Ideen, die KTM einmal einzigartig gemacht haben?