Giacomo Gariboldi: „Wenn die Saison vorbei ist, beginnt die stressige Zeit“

Giacomo Gariboldi ist der Mann an der Spitze des HRC MXGP Teams

Giacomo Gariboldi ist der Mann an der Spitze des HRC MXGP Teams. / Foto: Ray Archer

Giacomo Gariboldi im Interview: Die MXGP-Saison 2025 ist vorbei – mehr als zwanzig intensive Rennwochenenden liegen hinter Fahrern, Mechanikern und Teamverantwortlichen. Während für viele Fans jetzt die ruhigere Zeit des Jahres beginnt, herrscht in den Werkshallen der Weltmeisterschaftsteams alles andere als Stillstand. Denn die sogenannte Offseason ist für Teamchefs und ihre Crews eine der wichtigsten und zugleich arbeitsintensivsten Phasen des Jahres.

Verträge müssen abgeschlossen, neue Motorräder getestet, Personalfragen geklärt und die ersten Weichen für die kommende Saison gestellt werden. Gleichzeitig gilt es, das vergangene Jahr zu analysieren, Erfolge einzuordnen und aus Rückschlägen zu lernen.

Wir haben mit dem Teamchef des HRC Teams, über genau diese Zeit gesprochen. Im Interview verrät er, wie ein MXGP-Werksteam die Wochen nach dem Saisonfinale nutzt, welche Aufgaben jetzt auf seiner Agenda stehen – und warum die Offseason oft härter ist, als viele denken.

Giacomo, die Saison ist vorbei – was sind Deine ersten Aufgaben direkt nach dem letzten Grand Prix?

Sagen wir, nach dem letzten Grand Prix liegt unser Fokus auf dem Motocross of Nations (MXON) – einem sehr wichtigen Saisonfinale für die Fahrer und ihre Nationen. Normalerweise beginnen wir nach diesem Rennen damit, die Motorräder und Teile für die erste Phase der Wintertests vorzubereiten. Diese finden in der Regel in Italien vor Ende Oktober statt, wenn sich die Fahrer noch in ihrer besten Form befinden und dadurch präzises Feedback zu dem geben können, was sie testen.

Wie sieht die Nachbereitung während einer langen MXGP-Saison aus? Gibt es eine Art internes “Debriefing” mit Fahrern und Technikern?

Nach jedem Grand Prix findet am Sonntagabend ein Debriefing mit jedem Fahrer in unseren Team-Motorhomes statt. Dabei analysieren wir die Videos der Rennen, die Startaufnahmen sowie die Daten aus unseren Systemen.
Das ist ein sehr wichtiger Teil des Wochenendes, denn wir versuchen zu verstehen, was wir für das nächste Rennen verbessern können und wie wir die Probleme lösen, die während der verschiedenen Sessions aufgetreten sind.

Bei jedem dieser Meetings versuchen unsere japanischen Ingenieure, so viele Informationen wie möglich von den Fahrern zu bekommen. Diese müssen ein Formular ausfüllen und Bewertungen (normalerweise von 0 bis 5) für jedes Element des Motorrads abgeben – Motor, Fahrwerk, Rahmen und so weiter.

HRC Motorhome in dem Teambesprechungen oder Debriefings stattfinden.
Die HRC Motorhomes im Fahrerlager der FIM Motocross Weltmeisterschaft – MXGP. / Foto: Ray Archer

Wie früh beginnen die Planungen und Vorbereitungen für die kommende Saison – und was steht dabei ganz oben auf Deiner Liste?

Die Vorbereitung beginnt direkt nach dem Motocross of Nations (MXON). Wir absolvieren einige Testsessions mit all unseren Fahrern, an denen neben unserer regulären Crew auch Ingenieure der Forschungs- und Entwicklungsabteilung (R&D) aus Japan teilnehmen. Normalerweise sind es fünf oder sechs Personen aus der Entwicklungsabteilung, und der Projektleiter der CRF ist immer dabei.

Bei diesen Tests probieren wir neue Teile, Fahrwerke und, wie zum Beispiel in diesem Jahr, arbeiten wir intensiv an der Entwicklung des neuen 450er-Prototypen.

Inwiefern ist die Offseason auch eine Zeit für Vertragsverhandlungen, Fahrerentscheidungen oder Teamveränderungen?

Normalerweise finden alle Vertragsverhandlungen deutlich früher in der Saison statt, sagen wir etwa im Juni oder Juli. Hier legen wir die Fahrerstrategie für die folgende Saison fest.

In der Offseason arbeiten wir in der Regel an der Optimierung der Logistik – neue Anhänger, Lkw oder Transporterwerden normalerweise direkt nach Saisonende geplant. In dieser Phase stellen wir auch neue Mechaniker oder Crewmitglieder vor, die eventuell ausscheidendes Personal ersetzen.

Wie eng arbeitet Ihr in dieser Phase mit den Herstellern und Sponsoren zusammen, um das neue Material für die nächste Saison zu sichern oder zu verbessern?

Wir arbeiten sehr eng mit all unseren Partnern zusammen und nutzen unsere Tests, um neue Produkte und Lösungenauszuprobieren. Normalerweise ist dies auch die Zeit des Jahres, in der wir an neuen Sponsoren und folglich an den Grafiken unserer Motorräder und Transporter arbeiten.

Viele denken, die Offseason sei Entspannung – wie viel Erholung ist tatsächlich möglich für Dich und das Team?

Entspannung ist ein Wort, das im Rennsport nicht existiert! Wenn die Saison vorbei ist, beginnt die stressige Zeit mit noch mehr Arbeit, um das neue Jahr, das neue Personal, die neuen Fahrer und die neuen Sponsoren zu koordinieren und zu planen. Man muss wirklich leidenschaftlich sein, um in diesem Geschäft zu arbeiten – aber wir alle haben große Freude daran.

Welche Rolle spielt die Vorbereitung der Fahrer? Überwachst Du Trainings- und Testprogramme oder überlässt Du das komplett den Trainern oder Fahrern?

Normalerweise nehme ich an den Tests am Ende der Saison und zu Beginn des neuen Jahres teil, um die Bedürfnisse der Fahrer zu überprüfen. Während des gesamten Winters stehe ich in Kontakt mit den Trainingsmechanikern oder Jacky Vimond (Fahrerberater), um regelmäßige Updates zu den Trainingseinheiten zu erhalten.

Die meisten Fahrer schreiben mir regelmäßig, um ein Update darüber zu geben, wie alles läuft. Unser Physiotherapeut Filippo Camaschella führt zu Beginn der Saison körperliche Tests durch, um den Fitnesszustand der Fahrer festzustellen, die wir zur Saisonmitte wiederholen.

Wie wichtig sind Testfahrten und Materialentwicklung in der Offseason – und wie stark ist die Belastung für Mechaniker und Ingenieure in dieser Zeit?

Die Testphase in der Offseason ist für die Crew sehr anspruchsvoll, da sie nach einer langen Saison mit 21 Grands Prix (20 + MXoN) und einigen Vorsaisonrennen unter großem Druck steht, die Motorräder und Teile für diese Tests vorzubereiten.

Ich möchte die Leidenschaft und Hingabe meines gesamten Teams hervorheben – sie arbeiten das ganze Jahr über ohne Unterbrechung und sollten von den Medien viel mehr gewürdigt werden, denn sie arbeiten im Hintergrund, doch ohne sie würde die Show nicht weitergehen!

Dasselbe gilt für unsere japanische Crew, die das ganze Jahr über ständig zwischen Japan und Europa reist und zusätzlich zur Arbeitsbelastung auch noch den Stress des Jetlags bewältigen muss.

Gibt es in der Offseason auch strategische Themen, etwa die langfristige Teamplanung oder Nachwuchsförderung?

Dies ist ebenfalls ein Teil unseres Fokus – wir versuchen, Ideen zu finden, wie wir neue Teams und ihre jungen Fahrer unterstützen können. Derzeit investieren wir Anstrengungen in den Aufbau neuer Teams, die mit jungen Talenten arbeiten könnten, die eines Tages dem Team HRC beitreten könnten.

Dies soll vermeiden, dass wir bei HRC Zeit und Energie damit verbringen, junge Fahrer zu testen, während wir uns eigentlich auf das Gewinnen von Titeln konzentrieren müssen.

Zum Schluss noch eine letzte Frage: Welche der bevorstehenden Aufgaben in der Offseason würdest Du am liebsten an jemand anderen abgeben – oder vielleicht ganz vergessen?

Keine davon! Alles gehört zu meinem Job, und ich mache ihn wirklich mit großer Freude. Wie ich schon gesagt habe: Man kann diesen Beruf nicht ausüben, ohne dafür leidenschaftlich zu sein! Und nach 20 Jahren als Teammanager auf höchstem Niveau hoffe ich wirklich, noch mindestens zwei weitere Jahrzehnte im Rennsport genießen zu können!