Christian Craig über Formhoch, Familienreise und der Weg zum WSX-Titel
Christian Craig im Gespräch mit Krisen Beat. / Foto: SX Global
Die Ausgangslage in Stockholm könnte spannender kaum sein: Nach dem überraschenden Ausscheiden von Ken Roczen aus der WSX-Meisterschaft 2025 hat sich das Kräfteverhältnis an der Spitze neu sortiert. Obwohl Roczen rechnerisch weiterhin als Tabellenführer geführt wird, ist Christian Craig nun der real führende Titelanwärter – mit 10 Punkten Vorsprung auf Jason Anderson und einer starken Ausgangsposition für die letzten beiden Runden der World Supercross Championship.
Mitten in dieser aufgeheizten Titelkonstellation steht Craig im Fokus: frisch erstarkt nach seinem Karriere-Abend in Australien, entspannt im schwedischen Rhythmus und doch voll im Rennmodus. Zwischen Sightseeing in Stockholm, wertvollen Familienmomenten und der Vorbereitung auf die entscheidenden Motos sprach WSX-Kommentatorin Kristen Beat mit dem US-Amerikaner über Form, Teamdynamik, die weltweite WSX-Reise und seinen klaren Blick auf den möglichen WM-Titel.
WSX in Stockholm – zwei Runden vor Schluss. Christian, wie gefällt dir Schweden bisher?
Wir sind am Mittwoch oder Donnerstag angekommen und haben seitdem ein bisschen die Stadt erkundet. Es ist wirklich schön hier – ruhig, sauber und sehr entspannt. Ich genieße es total.
In Australien hattest du einen deiner stärksten Abende überhaupt. Du hast gegen Weltklasse-Fahrer gewonnen – kein Zufall, keine Wildcard-Konstellation. Was hast du gefühlt, als du die Ziellinie überquert hast?
Ich war extrem emotional. In Moto 2 bin ich zweimal gestürzt und dachte, damit hätte ich mein gesamtes Ergebnis weggeworfen. Ich wurde Neunter, und das hat sich echt bitter angefühlt. Im dritten Lauf hatte ich dann einen richtig guten Start, konnte früh ein paar saubere Überholmanöver setzen und war danach kaum noch unter Druck. Klar, im Rennen ist einiges passiert, aber ich habe mich in die richtige Position gebracht und es konsequent durchgezogen. Und das Besondere: Es war wahrscheinlich das erste Mal, dass ich Eli Tomac wirklich „straight up“ überholt habe. Normalerweise schlage ich ihn nur, wenn ich vor ihm starte. Das hat den Moment noch wertvoller gemacht.
Deine Formkurve zeigt klar nach oben. Was gibt dir dieses neue Team?
Das Bike war von Anfang an stark, und wir haben kaum etwas daran verändert. Die Stimmung im Team ist super – alle sind positiv drauf, jeder hat Spaß, und das steckt an. Wenn man sich wohlfühlt, fährt man einfach besser. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Fahren und mit der gesamten Situation.
In Australien wurde es zwischen dir und Joey Savatgy etwas hitzig. Wie siehst du das heute?
Das stimmt, es war ein bisschen „spicy“. Joey hat in der Kurve den Quad genommen, ich nicht – da war ich im ersten Moment gereizt. Er kam aber direkt nach dem Rennen zu mir und hat gesagt, dass es keine Absicht war. Wir kennen uns ewig, sind zusammen Amateur-Rennen gefahren, später Pro, und jetzt sind wir hier in der WSX. Da gibt es viel gegenseitigen Respekt. Solche Situationen gehören einfach zum Racing.
Deine Familie begleitet dich bei vielen WSX-Rennen. Wie erlebt ihr das gemeinsam?
Es ist wirklich schön, gemeinsam etwas von der Welt zu sehen. Meine Tochter war in Kanada dabei, jetzt ist mein Sohn mit in Schweden. Wir versuchen, so viel wie möglich mitzunehmen – auch wenn er gerade ein bisschen Schule verpasst. Aber er genießt es sehr.
Wie fühlt sich die WSX für dich an?
Es ist ein völlig anderes Gefühl als die klassischen US-Rennen. Normalerweise fahren wir 17 Runden in Amerika und das war’s. Jetzt reisen wir zu Fans auf der ganzen Welt – viele sehen uns zum ersten Mal live. In Australien waren die Tribünen voll, die Stimmung war unglaublich. Das gibt richtig viel Energie.
Du kämpfst um die Meisterschaft. Was würde dir der Titel bedeuten?
Natürlich wäre das etwas Besonderes. Jeder Sieg bedeutet etwas, und ein Titel wäre großartig. Aber ich versuche, nicht zu viel darüber nachzudenken. Es liegen noch einige Motos vor uns, und da kann viel passieren. Ich will einfach sauber fahren, Rennen gewinnen und meinen Job machen. Wenn es reicht, wäre das fantastisch. Wenn nicht, ist es kein Weltuntergang.
Wie gefällt dir das WSX-Format mit drei Mains und der Superpole?
Ich finde es richtig gut. Die kurzen Sprints machen Spaß, aber du musst absolut fokussiert sein – die Starts entscheiden alles. Es unterscheidet sich komplett von einem klassischen 20-Minuten-Main und ist für die Fans definitiv spannender. Ich selbst war dieses Jahr noch nicht in der Superpole – ich hoffe sehr, dass ich in Schweden die Chance bekomme.
Wie schaffst du es, trotz Jetlag auf Topniveau zu fahren?
Ehrlich gesagt ist keiner von uns gerade auf einem normalen Zeitplan. Manchmal wird man müde, kurz bevor das Rennen beginnt – aber sobald das Adrenalin kommt, ist das sofort weg. Wir müssen nur ein bis zwei Stunden wirklich funktionieren – und das schaffen wir.
Die entscheidenden Stunden beginnen jetzt
Für Christian Craig beginnt in Stockholm nicht nur ein weiteres Rennwochenende, sondern der vielleicht wichtigste Abschnitt seiner Karriere. Mit dem realen Spitzenplatz nach Roczens Ausstieg, einem komfortablen Zehn-Punkte-Polster auf Jason Anderson und einer Formkurve, die klar nach oben zeigt, geht er mit beachtlicher Stärke in die letzten beiden Runden. Ruhe, Fokus und Erfahrung scheinen so gut auszubalancieren wie selten zuvor.
Nun liegt es an ihm, diese Chance zu nutzen – und die Tür zum möglichen Weltmeistertitel 2025 offen zu halten. Die Voraussetzungen sind geschaffen, das Selbstvertrauen ist da. Jetzt entscheidet allein das Racing.
