Chase Sexton & Kawasaki: Wie Coach Philip Rüf den Neustart formt

Philip Rüf und Chase Sexton bei gemeinsamen Trainingseinheiten

Philip Rüf und Chase Sexton bei gemeinsamen Trainingseinheiten

Wenn es um die feinsten Stellschrauben moderner Leistungsentwicklung geht, spielt Philip Rüf eine zentrale Rolle. Der Österreicher arbeitet seit mehreren Jahren eng mit Kawasaki-Factory-Pilot Chase Sexton zusammen und begleitet einen der komplettesten Fahrer im Supercross und Motocross nicht nur körperlich, sondern auch mental durch die entscheidenden Phasen seiner Karriere.

Nach einem herausfordernden Jahr und dem Wechsel zu Kawasaki steht Sexton vor einem neuen Kapitel – mit mehr Freiheit, langfristiger Planung und einem klaren Fokus auf nachhaltige Performance. Im Gespräch gibt Rüf tiefe Einblicke in seine tägliche Arbeit mit Sexton, spricht über mentale Erschöpfung, neue Trainingsstrukturen, den Einfluss des Teamumfelds und darüber, warum Konstanz, Vertrauen und Leichtigkeit für den nächsten Entwicklungsschritt entscheidend sind.

Philip, 2023 hast du uns erzählt, wie feinfühlig Chase auf Trainingsimpulse reagiert und wie wichtig Balance für seine Leistungsfähigkeit ist. Jetzt, mit dem Wechsel zu Kawasaki und seinem klar formulierten Wunsch nach mehr Freiheit und mentaler Leichtigkeit: Welche Rolle spielt Coaching aktuell dabei, diese neue Umgebung wirklich wirksam für ihn zu nutzen?

Mittlerweile kenne ich Chase nach über vier Jahren sehr gut. Ich weiß beim Ausdauertraining genau, in welchem Pulsbereich er sich bewegt oder wie viele Watt er tritt. Schon beim morgendlichen Warm-up sehe ich, wie er sich fühlt und wie er sich bewegt. Entsprechend passen wir das Training – gerade während des Bootcamps – täglich an, um immer den bestmöglichen Trainingseffekt zu erzielen.

Chase spricht offen darüber, dass die mentale Erschöpfung der vergangenen Jahre ein größeres Thema war als sein körperlicher Zustand. Wie habt ihr beide den letzten Winter genutzt, um genau diese mentale Basis neu aufzubauen – und woran erkennt man als Coach, dass ein Athlet wirklich wieder „offen“ ist für Entwicklung?

Das stimmt, er war mental vor allem nach der letzten Saison sehr erschöpft. Deshalb haben wir ihm zunächst bewusst mehr Pause gegeben und sind später ins Training eingestiegen. Wir haben viele gute, lange Gespräche geführt und mentales Training fest in den Alltag integriert. Als Coach merkt man relativ schnell, wenn ein Athlet wieder aufnahmefähig ist – wenn er zuhört, Fragen stellt und sich auf Prozesse einlässt.

Die KX450 verlangt fahrerisch eine andere Herangehensweise als sein vorheriges Material, gleichzeitig sagt Chase, dass er sich körperlich und energetisch besser fühlt als vor einem Jahr. Wie verbindet ihr aktuell die technische Umstellung auf die Kawasaki mit seinem langfristigen körperlichen Peak – und wo siehst du seine größten Potenziale für 2026?

Er hat mir persönlich auf dem neuen Bike sofort gefallen. Er fährt wieder freier, aggressiver und fühlt sich richtig wohl. Chase ist körperlich extrem stark und braucht im Vergleich zu vielen anderen nur wenige Wochen, um wieder in Topform zu kommen. Deshalb sind wir bewusst später gestartet, haben alte Verletzungen aufgearbeitet und sind jetzt auf einem sehr guten Weg. Die größten Potenziale für 2026 sehe ich in seinem enormen Ehrgeiz und seinem klaren Willen zu gewinnen. Das Bike gefällt ihm sehr gut – und noch mehr das Team um ihn herum.

Chase beschreibt, dass ihm der neue Teamspirit und ein etwas „freieres“ Umfeld guttut. Wie verändert so eine emotionale Entlastung konkret eure tägliche Arbeit – etwa in der Trainingssteuerung, der Kommunikation oder im Umgang mit Belastungsspitzen?

Chase wollte das Bootcamp dieses Jahr erstmals komplett bei sich zu Hause in Florida absolvieren. Das war eine sehr gute Entscheidung. Wir hatten deutlich weniger Stress durch Reisen, konnten Kraft- und Ausdauereinheiten direkt von zu Hause aus absolvieren, selbst kochen und Regeneration optimal integrieren. So konnten wir eine sehr solide Basis legen. Das Team hat ihn dabei perfekt unterstützt und ihm im Grunde jeden Wunsch erfüllt.

Du kennst Chase seit Jahren als extrem willensstarken Athleten, der sich selbst kaum Ruhe gönnt. Wie schafft ihr in der Vorbereitung die Balance zwischen seiner inneren Antriebskraft und dem Bedürfnis, Überlastung frühzeitig zu vermeiden?

Wir schauen täglich auf verschiedene Messwerte, aber am wichtigsten ist am Ende die Kommunikation. Und da ich selbst lange Motocross gefahren bin und alle Ausdauereinheiten mit ihm gemeinsam absolviere, kann ich seinen Zustand mittlerweile sehr gut einschätzen.

Der Wechsel der Trainingsanlage und die neue, stabilere Umgebung in Florida scheinen Chase enorm zu helfen. Welche Veränderungen beobachtest du körperlich und mental, wenn ein Athlet – wie in seinem Fall – endlich wieder Konstanz im Trainingsalltag findet?

Er hat einfach wieder richtig Spaß am Training gefunden. Er nimmt sich mehr Zeit für Erholung und ist auch wieder offen dafür, Neues auszuprobieren und anzunehmen.

Chase sagt selbst, dass er mit zunehmender Erfahrung immer besser versteht, wie er seine Leistung reproduzieren kann. Wie hat sich seine Selbstwahrnehmung als Athlet verändert – und welchen Einfluss hat das auf deine Arbeit als Coach?

Chase ist mittlerweile ein sehr erfahrener Athlet mit einem ausgeprägten Körpergefühl. Er hört stärker auf die Signale seines Körpers und weiß, dass Erfolg nicht nur aus hartem Training besteht, sondern auch aus Regeneration, Ernährung, Schlaf und mentaler Arbeit. Für mich macht das die Zusammenarbeit leichter, weil er mir vertraut, sich auf neue Ansätze einlässt und ich meine Ideen einbringen kann, ohne ihn überzeugen zu müssen.

Die letzten Jahre waren für Chase geprägt von extrem hohem Erwartungsdruck und intensiven Trainingsstrukturen. Was waren für dich die wichtigsten Stellschrauben, um wieder Leichtigkeit in seinen Rhythmus zu bringen, ohne dabei seine hohe Professionalität zu verlieren?

Ein ganz wichtiger Punkt war, den Kreis der Menschen um ihn herum bewusst klein zu halten. Dazu kamen viele ehrliche Gespräche und der Fokus darauf, den Spaß am Training wiederzufinden.

Du hast einmal gesagt, dass Chase sowohl körperlich als auch mental zu den stärksten Fahrern gehört, die du je betreut hast. Welche Entwicklungsschritte der aktuellen Offseason haben dich persönlich am meisten beeindruckt – und warum?

Ganz klar sein Wille und seine Konsequenz. Bei Chase gibt es keine Ausreden – weder auf dem Track noch abseits davon. Wenn zum Beispiel eine Sektion nicht so funktioniert, wie sie soll, übt er sie so lange, bis es klappt, egal wie viele Versuche es braucht. Das zeigt, wie fokussiert und ehrgeizig er ist, ohne dass er den Spaß am Fahren verliert.

Mit dem langfristigen Dreijahresvertrag bei Kawasaki entsteht erstmals Planungssicherheit. Wie verändert das eure gemeinsame strategische Ausrichtung – sowohl für die Saison 2026 als auch im Hinblick auf seinen sportlichen „Prime Window“ der kommenden Jahre?

Das gibt ein sehr gutes Gefühl. Alles ist langfristig gedacht, nicht nur auf den Moment bezogen. Ich habe mir jetzt schon Notizen gemacht, was wir nächstes Jahr anders oder besser machen können – und ich glaube, so geht es dem gesamten Team. Wir freuen uns sehr auf das, was kommt.

Zum Abschluss wird deutlich, dass dieser Neustart mehr ist als ein reiner Teamwechsel. Chase Sexton geht mit neuer Klarheit, mentaler Frische und einem langfristig angelegten Konzept in die nächste Phase seiner Karriere – getragen von Vertrauen, Struktur und einem Umfeld, das Entwicklung zulässt. Für Philip Rüf und seinen Schützling steht dabei nicht der schnelle Effekt im Vordergrund, sondern nachhaltige Performance auf höchstem Niveau.

Viel Zeit zum Zurücklehnen bleibt allerdings nicht: Die SMX-Saison 2026 beginnt bereits am 10. Januar im Anaheim Stadium in Kalifornien – also in etwas mehr als 14 Tagen. Dann wird sich zeigen, wie wirkungsvoll Leichtigkeit, Konstanz und Vorbereitung in Rennpace übersetzt werden können.