KTM nach Übernahme im Kulturwandel
KTM steht vor grundlegenden Veränderungen durch die Übernahme von Bajaj. / Foto: Rob Gray
Mit dem Einstieg des indischen Motorradherstellers Bajaj Auto als Mehrheitsaktionär der Pierer Mobility AG beginnt in Mattighofen eine neue Ära. Was als notwendiger Sanierungsakt begann, entwickelt sich zu einem tiefgreifenden kulturellen und strategischen Wandel bei KTM – weg vom gewachsenen, emotional geprägten Unternehmergeist hin zu einer global strukturierten, zahlenorientierten Industriephilosophie.
Vom Pioniergeist zur Prozesskultur
Über Jahrzehnte galt KTM als Synonym für Mut, technische Leidenschaft und unkonventionelles Denken. Die Marke war geprägt von einer starken Gründerkultur – Entscheidungen wurden schnell getroffen, Innovationen oft aus dem Bauch heraus. Mit der Übernahme durch Bajaj verändert sich nun die DNA des Unternehmens: Struktur statt Instinkt, Effizienz statt Emotion.
Bajaj bringt Erfahrung aus einem streng durchorganisierten Industriekonzern mit, der jährlich Millionen Motorräder produziert. Diese Denkweise prägt nun zunehmend auch Mattighofen. Themen wie Kostenkontrolle, Lieferkettensicherheit und Produktionsoptimierung stehen stärker im Vordergrund als Markenimage oder sportliche Tradition.
Neue Führungsprinzipien, neue Werte
Während Stefan Pierer über Jahrzehnte das Gesicht und der Taktgeber von KTM war, steht nun ein internationales Managementteam bereit, das stärker in die Bajaj-Strukturen eingebunden ist. Die Entscheidungswege werden internationaler, die Verantwortung breiter verteilt.
Der Fokus liegt künftig auf Prozesssicherheit und globaler Effizienzsteigerung – Stichworte, die in Mattighofen lange zweitrangig waren. Statt der „Wir packen’s an“-Mentalität dominiert nun ein kontrolliertes Vorgehen mit klaren Berichtswegen und Kennzahlen.
Bajaj gilt als Meister im skalierbaren Produktionsmanagement, was sich bereits zeigt: Die GasGas-Fertigung wurde nach Mattighofen integriert, während die Beteiligung an der Trial-WM beendet wurde – Entscheidungen, die ökonomisch nachvollziehbar, aber emotional nicht unumstritten sind.
Zwischen Stolz und Anpassung
Für viele Mitarbeiter ist dieser Wandel spürbar. Der Stolz, Teil einer österreichischen Kultmarke zu sein, bleibt, doch die Arbeitsweise verändert sich. Bürokratie ersetzt Improvisation, und die globale Berichtskette führt dazu, dass lokale Entscheidungen zunehmend internationale Rücksprache erfordern.
Gleichzeitig sorgt Bajaj für Stabilität. Nach der Insolvenz Ende 2024 war klar: Ohne den indischen Partner wäre KTM heute kaum überlebensfähig. Die 450 Millionen Euro, die Bajaj zur Umsetzung des Sanierungsplans bereitstellte, sicherten nicht nur 2.600 Arbeitsplätze, sondern auch die Grundlage für einen langfristigen Neuanfang.
Viele Mitarbeiter sehen in der neuen Struktur daher nicht nur Kontrolle, sondern auch Sicherheit und Perspektive.
Standort Mattighofen bleibt Herzstück
Trotz des Wandels bleibt Österreich ein zentraler Standort innerhalb des Bajaj-Konzerns. Entwicklung, Design und Prototypenbau sollen weiterhin hier stattfinden. Dennoch wird die Rolle sich verändern – vom autonomen Innovationszentrum zum integrierten Entwicklungsstandort im globalen Netzwerk.
Intern wird bereits über eine Namensänderung der Pierer Mobility AG diskutiert. Sie wäre mehr als ein Symbol: Der Abschluss einer Ära und der sichtbare Beginn der neuen „Bajaj-Ära“.
Eine Marke zwischen Vergangenheit und Zukunft
KTM steht heute an einem Scheideweg. Die Marke bleibt stark, doch die Art, wie sie geführt wird, wandelt sich grundlegend. Bajaj verfolgt eine klare Strategie: globale Präsenz, stabile Margen, nachhaltiges Wachstum.
Was KTM einst zur Ikone machte – Abenteuer, Risiko, Unangepasstheit – muss sich nun mit den Anforderungen eines internationalen Industriekonzerns vereinen.
Indischer Einfluss auf den europäischen Motorradmarkt
Mit der Mehrheitsübernahme stärkt Bajaj nicht nur seine Position in Europa, sondern verschiebt das Kräfteverhältnis in der globalen Motorradbranche spürbar. KTM wird künftig Teil einer größeren industriellen Strategie, in der indische Hersteller zunehmend die Führungsrolle übernehmen.
Während westliche Marken um Rentabilität kämpfen, setzt Bajaj auf Skalierung, Effizienz und Technologieintegration – ein Modell, das in Mattighofen bereits spürbar Einzug hält.
Die Übernahme mag aus wirtschaftlicher Sicht logisch erscheinen, markiert jedoch auch das Ende einer Ära. KTM, einst Symbol für österreichische Ingenieurskunst und Abenteuergeist, wird künftig Teil eines globalen Netzwerks. Das Unternehmen steuert seine globale Strategie künftig direkt aus Pune – mit klar definierten Zielen, straffen Strukturen und einem neuen Verständnis von Erfolg.
KTM bleibt KTM – aber anders: weniger Mythos, mehr Management; weniger Instinkt, mehr Struktur.
Und genau darin liegt die Herausforderung – und vielleicht auch die Chance – dieser neuen Ära unter indischer Führung.
